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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Geschichte auf. Und Gott empfand so etwas wie Hoffnung.«
    »Hoffnung worauf?«
    »Dass er endlich etwas über seine eigene Existenz erfahren würde.«
    »Hat Gott seine Fragen beantwortet, indem er die Menschheit beobachtete?«
    »Nein. Weil die Evolution an einem gewissen Punkt einfach aufgehört hat. Nicht die biologische Evolution, sondern die psychische. Der Mensch zerstörte die von ihm geschaffenen Gesellschaften fast genauso schnell, wie er sie erschuf. Er vernichtete Städte, vergiftete Felder, schlachtete seine Brüder, vergewaltigte seine Schwestern und missbrauchte seine Kinder. Der Mensch besaß unbeschränktes Potenzial, doch er war gefangen in einem Teufelskreis aus Selbstzerstörung, außerstande, sich über eine im Grunde genommen brutale, skrupellose Existenz hinauszuentwickeln.«
    »Und Gott hatte damit nichts zu tun?«
    »Nein. Gott kann nicht kontrollieren, was im Innern der Blase geschieht. Er existiert nicht in der Welt aus Materie und Energie. Nicht als Gott jedenfalls. Er konnte nur beobachten und versuchen zu begreifen. Im Lauf der Zeit wurde er besessen von den Menschen, so wie er einst von sich selbst besessen gewesen war. Warum können die Menschen den Zyklus aus Gewalt und Vergeblichkeit nicht durchbrechen? Gott konzentrierte sein gesamtes Wesen auf die Blase, auf der Suche nach einem schwachen Punkt, einem Weg in die Matrix aus Materie und Energie, die ihn von allem ausschloss.«
    »Und?«
    »Er fand einen Weg. Gott sah sich selbst in der Blase, und er sah durch die Augen eines Menschen nach draußen. Er spürte menschliche Haut, roch den Geruch der Erde, blickte auf in das Gesicht einer Mutter. In das Gesicht seiner Mutter.«
    Rachel war ganz still geworden. »Du sprichst von Jesus von Nazareth, nicht wahr? Du willst sagen, dass Gott sich in Jesus von Nazareth verwandelt hat.«
    Ich nickte.
    »Du sagst ganz genau das, was die Christen glauben. Nur … so wie du es schilderst, klingt es wie ein zufälliges Ereignis.«
    »Das war es in gewisser Hinsicht auch. Gott konzentriertesein gesamtes Bewusstsein auf die Welt, und Jesus war die Tür, die sich ihm öffnete. Warum ausgerechnet Jesus? Ich weiß es nicht.«
    »War denn der ganze Gott in Jesus?«
    »Nein. Stell dir eine Kerzenflamme vor. Du hältst eine zweite Kerze an die Flamme, zündest sie an und nimmst sie weg. Die neue Kerze brennt nun weiter, doch die ursprüngliche Kerze brennt ebenfalls. So hat es funktioniert. Ein Teil Gottes ging auf Jesus über. Der Rest von ihm blieb außerhalb unseres Universums. Außerhalb der Blase.«
    »Aber Jesus hatte Gottes Kräfte?«
    »Nein. Im Innern der Blase ist Gott unseren Naturgesetzen unterworfen, wie alles andere auch.«
    »Und die Wunder? Das Auferwecken von Toten? Die Verwandlung von Wasser in Wein? Das Wandeln auf dem Wasser?«
    »Jesus war ein Heiler, kein Magier. Diese Geschichten waren nützlich für diejenigen, die eine Religion um ihn herum errichteten.«
    Rachel schüttelte den Kopf, als hätte sie einen Schwindelanfall. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, David.«
    »Denk darüber nach. Wir wissen nur sehr wenig über die frühen Jahre von Jesus Christus. Wir haben die Legende seiner Geburt und ein paar Geschichten aus seiner Kindheit, die wahrscheinlich apokryph sind. Und dann, im Alter von dreißig Jahren, betritt er als voll ausgereifter Mann die Weltbühne. Ich habe mich oft gewundert, warum die Menschen nicht mehr Fragen über die Kindheit und Jugend von Jesus stellen. War er ein gutes Kind? Hat er eine Frau geliebt? Hatte er Kinder? Hat er gesündigt wie alle Menschen? Warum diese riesige Lücke in seinem Leben?«
    »Ich vermute, du kennst eine Antwort?«
    »Ich denke schon. Gott hatte die Welt betreten, weil er begreifen wollte, warum die Menschen sich nicht mehr weiter entwickelten. Um dies zu bewerkstelligen, hat er unter den Menschen gelebt. Und als er erwachsen wurde, fand er seine Antwort. Die Schmerzen und Sinnlosigkeit menschlichen Lebens wurdenerträglich durch die unbeschreibliche Freude, die menschliche Wesen empfinden konnten. Schönheit, Lachen, Liebe … selbst die einfachen Freuden, wie das Essen einer Frucht oder das Beobachten eines Kindes. Durch Jesus erst spürte Gott all diese wundervollen Dinge. Und er sah auch, warum die menschliche Spezies letztendlich dem Untergang geweiht war.«
    »Warum?«
    »Der Mensch war in einer gewalttätigen Welt gediehen, weil er über die Instinkte verfügte, die zu dieser Welt passten. Doch falls er sich weiter

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