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Gerechte Engel

Gerechte Engel

Titel: Gerechte Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Stanton
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Luzifers.
    Wer war die Frau auf dem Schiff?
    Wer würde versuchen, den ertrinkenden Seelen zu helfen, sie zu retten?
    Wer war sie selbst?
    Die Antwort auf die zweite Frage kannte sie: Es war Aufgabe der Compagnie, den ertrinkenden Seelen zu helfen. Ihre Aufgabe.
    Vermutlich kannte sie auch die Antwort auf die erste Frage, aber sicher war sie sich nicht. Sie nahm an, dass es sich um ihre leibliche Mutter Leah handelte, die sie zu gern kennengelernt hätte. Leah war Advokatin der Verdammten gewesen, genauso wie jetzt Bree.
    Und über die letzte Frage – wer war sie selbst? – wollte sie lieber nicht nachdenken.
    Von der Küche ging ein kleines Badezimmer ab, das aus den Fünfzigerjahren stammte und mit einem Standwaschbecken, einer Toilette sowie einer winzigen gekachelten Duschkabine ausgestattet war. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel mit zahlreichen blinden schwarzen Flecken. Bree ging ins Badezimmer und zog an der Kette, um die Glühbirne einzuschalten und sich im Spiegel zu betrachten: ein hübsches Gesicht. Ein Gesicht, das nicht wenige Bewunderer hatte.
    Ihr fiel ein, wie sich Vincent Victor White mit diesem widerwärtigen Grinsen auf Tyras Sessel niedergelassen hatte.
    Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre Augen funkelten und nahmen einen harten Ausdruck an. Und ihr Gesicht …
    Erschrocken fasste sie nach oben und zog so heftig an der Kette, dass sie abriss. Die Glühbirne flackerte kurz auf und verlosch.
    Nein. Nicht ich. Nie und nimmer.
    Plötzlich schlug die Erschöpfung wie eine Welle über ihr zusammen. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Sie wollte nach Hause, wollte mit ihrer Schwester reden, vielleicht würde sie auch Sam Hunter anrufen, den sie wegen der Feiertage schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen hatte. Sie hatten sich lose verabredet, sich auf einen Drink zu treffen, sobald sie wieder in Savannah war.
    Höchste Zeit, nach Hause zu gehen. Sie begab sich in die kleine Eingangshalle, wobei sie im Vorbeigehen einen Blick auf die farbenfrohen Renaissance-Engel warf, mit denen Lavinia die Treppe bemalt hatte. Sie trugen scharlachrote Gewänder mit goldenen und himmelblauen Bordüren. Ihre Heiligenscheine strahlten feurig-golden und ihre Flügel waren von zartestem Silber. Der unterste Engel hatte weißblondes, zu einem kunstvollen Kranz geflochtenes Haar. Lavinia war davon überzeugt, dass er genauso aussah wie Bree.
    Sie schaltete das Licht in der Eingangshalle aus, trat hinaus und schloss die Haustür hinter sich ab.
    Draußen hatte es sich erheblich abgekühlt, seit die Sonne untergegangen war, doch nach der muffigen Wärme, die in dem alten Haus herrschte, empfand Bree dies als ganz angenehm. Die Regenwolken hatten sich verzogen, und der Halbmond, der an dem klaren nächtlichen Himmel stand, warf sein blasses Licht auf die Inschriften der Grabsteine, die um das kleine Haus herumstanden. Von jenseits des schmiedeeisernen Zauns, der um das Grundstück verlief, waren die üblichen nächtlichen Geräusche der Stadt zu hören. Diesseits des Zauns … Bree riss sich zusammen. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und wollte jetzt nicht darüber nachdenken, wer oder was nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Friedhof lauern mochte. Scheu blickte sie zu der Eiche hin, die über den Gräbern der Pendergasts wuchs. Dort schien jedoch alles ruhig zu sein. Im selben Augenblick hörte sie das vertraute Klicken, das Saschas Krallen auf dem mit Ziegeln gepflasterten Weg machten.
    »Da bist du ja, Sascha. Ich habe gehofft, dass mich jemand abholen und nach Hause begleiten würde.«
    Er sprang die Treppe hoch und stupste mit dem Kopf gegen ihr Knie. Er freute sich so sehr, sie zu sehen, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. Sie kraulte ihn hinter den Ohren und kniete sich hin, um ihm einen Kuss auf den Kopf zu geben. »Ich freu mich auch, dich zu sehen.«
    Aus der Dunkelheit war ein Hüsteln zu hören. Brees Hand verkrampfte sich im Fell an Saschas Hals. Die übernatürlichen Kräfte des Hundes waren beschränkt. Falls ihr wirklich Gefahr drohte, würde früher oder später Gabriel auftauchen, doch bis jetzt spürte sie nichts von seiner Anwesenheit. »Wer ist da?«, fragte sie in scharfem Ton.
    »Wollte Sie nicht erschrecken, junge Frau.« Bree stieg Zigarettenrauch in die Nase, und dann hörte sie, wie jemand über den Bürgersteig schlurfte. Das Ende einer Zigarette glomm auf. Jenseits des Tores wurde eine große dunkle Gestalt

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