Gerechtigkeit fuer Igel
verlaufen wären, wie es der Fall war. Wenn wir aber den Wert eines Lebens nur daran bemessen, welche Konsequenzen es zeitigt, hätte fast kein Leben wirklich Wert, und außerdem wären einige einfach aufgrund zufälliger Umstände ganz besonders wertvoll – etwa das Leben eines Zimmermanns, der am Bau jenes berühm
336 ten Theaters an der Themse beteiligt war. Wenn wir plausibel erklären wollen, warum fast jedes menschliche Leben etwas außerordentlich Großartiges an sich hat, kann die Frage der Auswirkungen dieser Leben dabei keine allzu große Rolle spielen.
Um zu begreifen, inwiefern ein Leben Bedeutung hat, müssen wir noch einmal auf die Analogie mit der Kunst zu sprechen kommen, die auf die Romantik zurückgeht. Zu sagen, daß ein Künstler das Material, mit dem er arbeitet, mit Sinn erfüllt, oder ein Pianist dem Stück, das er spielt, eine neue Bedeutung gibt, kommt uns durchaus plausibel vor. Ebenso könnte man sagen, daß eine gelungene Lebensführung dem jeweiligen Leben Sinn verleiht – man könnte hier von einem ethischen Sinn sprechen. Kein anders verstandener Sinn des Lebens kann sich gegen die Sterblichkeit des Menschen und unsere Angst vor dieser Sterblichkeit behaupten. Finden Sie diesen Gedanken albern? Oder einfach nur gefühlsduselig? Wenn man etwas Kleines meistert, wenn es uns gelingt, einer Melodie, einer Rolle oder den Spielkarten, die wir auf der Hand haben, gerecht zu werden, wenn wir jemanden mit einem Trick oder einem Kompliment überraschen, wenn wir einen Stuhl zimmern, ein Sonett schreiben oder lieben –, dann fühlen wir eine Zufriedenheit, die in sich abgeschlossen ist. All diese Leistungen gehören zum Leben dazu. Warum sollte nicht auch das Leben selbst als eine solche eigenständige Leistung begriffen werden können, deren spezifischer Wert darin zum Ausdruck kommt, ob man sozusagen ein guter Lebenskünstler ist?
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Klarstellung einfügen. Ich hatte ja gesagt, daß es zu einer gelungenen Lebensführung gehört, ein gutes Leben anzustreben, aber das heißt nicht unbedingt, das Risiko eines schlechten zu minimieren. Viele Charaktereigenschaften, denen wir einen hohen Wert beimessen, sind keineswegs optimal dafür geeignet, uns ein Leben zu ermöglichen, das uns unabhängig davon als besonders gut erscheint. Wir schätzen Spontaneität, Authentizität, Wagemut und ein gewisses Flair, und all das geht damit einher, sich auf
337 schwierige oder sogar unmögliche Herausforderungen einzulassen. Es ist verlockend, die beiden Ideen hier zusammenfallen zu lassen und einfach zu behaupten, daß jene Eigenschaften und Tugenden auszubilden und zu erproben Teil dessen ist, was ein Leben gut macht. Das scheint mir aber zu reduktionistisch gedacht. Wenn wir erfahren, daß ein mittelloser Mensch seine gegenwärtige Lage mit seiner Entscheidung für eine ambitionierte, aber riskante berufliche Laufbahn selbst heraufbeschworen hat, können wir trotzdem denken, daß er dieses Risiko zu Recht eingegangen ist. Seine Entscheidung, nach einem unwahrscheinlichen, aber sehr ambitionierten Ziel zu greifen, könnte durchaus die beste Art gewesen sein, der Herausforderung des Lebens gerecht zu werden. Stellen Sie sich vor, daß ein Künstler sich nicht mit dem bequemen Leben zufriedengibt, das ihm sein Vermögen und seine Bewunderer ermöglichen würden – denken Sie etwa an Seurat, wenn ein Name Ihnen dabei hilft, diesen Gedanken nachzuvollziehen –, und sein Schaffen in eine völlig neue Richtung weiterentwickelt, die ihn isoliert und verarmen läßt und ihn zwingt, sich auf Kosten seiner Ehe und anderer sozialer Bindungen noch tiefer in seiner Arbeit zu vergraben, ohne daß überhaupt klar ist, ob diese Kehrtwendung künstlerisch erfolgreich sein wird. Es wäre außerdem selbst dann, wenn er in diesem Sinn erfolgreich sein sollte, sehr unwahrscheinlich, daß ihm vor seinem Tod dafür irgendwelche Anerkennung gezollt würde, wie es auch bei Seurat der Fall war. Manch einer würde hier sagen wollen, daß dieser Künstler, wenn die Kehrtwende funktioniert, trotz jener furchtbaren Kosten ein besseres Leben gehabt haben wird, als wenn er jenen Versuch nicht gewagt hätte, weil selbst eine nicht anerkannte große Leistung ein Leben zu einem guten Leben macht.
Aber nehmen wir an, es gelingt nicht. Was er produziert, ist zwar neu, aber von geringerem Wert als die konventionelleren Arbeiten, die er ansonsten gemalt hätte. Wenn wir dem Wagemut als einer Tugend einen
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