Gerechtigkeit fuer Igel
Beziehung zu unseren Nerven und Muskeln stehen, kann diese Fähigkeit nicht einschränken; wenn dem so sein sollte, dann ist diese Tatsache ohne jede Relevanz für die Existenz dieser ersten Fähigkeit. Die zweite, regulative Fähigkeit, die von dem Prinzip angenommen wird, besteht darin, daß Menschen normalerweise endgültige Entscheidungen treffen, die sich so verstehen lassen, daß sie ihren Wünschen und Überzeugungen im Lichte ihrer Meinungen dienen. Diese Annahme betrifft das Wesen – nicht die Ätiologie oder die kausalen Folgen – endgültiger Entscheidungen. Menschen haben diese Fähigkeit, ob sie dazu nun vom Schicksal verdammt sind oder nicht. Auch ein schnelles Auto, dessen Fahrverhalten natürlich durch Ereignisse jenseits der eigenen Kontrolle determiniert wird, kann schneller fahren, als es die Geschwindigkeitsbegrenzung zuläßt.
Verantwortung in der Praxis
Die Verteidigung unter Berufung auf
Unzurechnungsfähigkeit
Ob man sich für das Kausal- oder das Fähigkeitenprinzip der Kontrolle entscheidet, ist auch aus Gründen wichtig, die über die Kontroverse um den freien Willen hinausführen. So hängt von dieser Entscheidung viel ab für die Erläuterung und Diskussion der von mir bereits erwähnten Meinungsverschiedenheiten, die viel praktischerer Natur sind und zwischen Menschen auftreten, von denen die allgemeine Struktur des Systems der Verantwortung zwar akzeptiert wird, die sich aber über dessen Anwendung auf bestimmte Fälle uneins sind. Wenn wir der Ansicht sind, daß Menschen nur dann verantwortlich sind, wenn ihre Handlungen Ausfluß eines spontanen, nicht selbstverursachten Willensaktes sind, dann werden wir meinen, daß
424 diese praktischen Kontroversen abhängen von einer psychobiologischen Tatsache, die entweder vorliegt oder nicht. Wenn jemand behauptet, er habe eine Straftat blind vor Wut begangen, sei von einem unwiderstehlichen Impuls überwältigt worden, habe unter Zwang gehandelt, weil er im Ghetto aufgewachsen sei oder weil er zuviel Gewalt im Fernsehen gesehen habe, würden wir fragen: Waren diese Kräfte oder Einflüsse unter diesen Umständen tatsächlich stark genug, um die normale kausale Rolle seines Willens zu verdrängen, wie ein betrunkener Seemann, der den Steuermann beiseite schiebt und selbst nach dem Ruder greift, so daß letztlich nicht sein Wille, sondern eine überwältigende Eruption sexueller Eifersucht oder irgendeiner ähnlichen Kraft seine Fingermuskeln um den Abzug herum zusammengezogen hat? Wenn Bürger, Anwälte und Richter, die solche Fragen beantworten müssen, das Kausalprinzip akzeptierten, würden viele von ihnen sie meines Erachtens gar nicht verstehen. Vielleicht ist die für diesen Bereich des Strafrechts charakteristische Verwirrung teilweise auf die Popularität des Kausalprinzips unter Philosophen zurückzuführen.
Weisen wir das Kausalprinzip jedoch zugunsten des Fähigkeitenprinzips der Kontrolle zurück, sind wir mit einer anderen Frage konfrontiert. War der Angeklagte nicht in ausreichendem Maße im Besitz der beiden relevanten Fähigkeiten, so daß es unangemessen wäre, ihm Verantwortung zuzuschreiben? Diese Frage verlangt zum einen nach einer interpretativen Beurteilung seines Handelns und zum anderen nach einer ethischen und moralischen Beurteilung, hinsichtlich derer vernünftige Menschen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Aus diesem Grund handelt es sich meines Erachtens zwar häufig um eine schwierige, nicht jedoch um eine an sich rätselhafte Frage, und die mit ihr konfrontierten Menschen – etwa Jurymitglieder, die Unmengen an Zeugenaussagen gehört haben – werden wie bei jeder interpretativen Frage zu unterschiedlichen Antworten kommen. Sie werden sich zum Beispiel uneins darüber sein, ob das allgemeine Verhalten des Angeklagten Ge
425 waltverherrlichung als Teil seines Selbstbildes zum Ausdruck bringt – wenn ja, würden seine gewalttätigen Handlungen eine generelle Fähigkeit, Entscheidungen mit Vorlieben in Einklang zu bringen, eher belegen als ihr zu widersprechen. Auch die offensichtlicher normative Frage, welches Maß an Unfähigkeit erforderlich ist, um jemanden aus der Verantwortung zu entlassen, wird kontrovers bleiben. Wir bewundern Menschen, die diese Frage zumindest anfangs qua Introspektion beantworten. Würde ich mich selbst retrospektiv für verantwortlich halten, wenn ich in den Schuhen des Angeklagten stecken würde? Das ist die Pointe jenes immer wieder aufgegriffenen Gedankens,
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