Gerechtigkeit fuer Igel
Würde zur Moral
Selbstachtung und Achtung vor anderen
Universell oder besonders?
Zur Erinnerung: Ich will in diesem Buch versuchen, Ethik und Moral nicht einfach dadurch zusammenzuführen, daß die Moral in die Ethik eingemeindet wird, sondern eine Form von Integration erarbeiten, bei der beide Bereiche sich wechselseitig stützen. Weil Überlegungen zur gelungenen Lebensführung im Rahmen einer solchen Integration dazu beitragen könnten, unsere moralischen Verantwortlichkeiten genauer zu bestimmen, wäre sie eine Antwort auf die traditionelle philosophische Frage nach den Gründen, die wir dafür haben, gut zu sein. Wir beginnen damit, zu untersuchen, welche Implikationen jenes erste Prinzip der Würde – daß Sie es für objektiv wichtig halten müssen, daß Ihr Leben ein Erfolg ist – für die Moral hat. Im ersten Kapitel habe ich das Kant'sche Prinzip eingeführt, dem zufolge mit einer angemessenen Form der Selbstachtung – der Selbstachtung, die im ersten Prinzip der Würde zum Ausdruck kommt – eine entsprechende Achtung gegenüber den Leben aller Menschen einhergeht. Um sich selbst zu achten, müssen Sie auch die Leben anderer für objektiv wichtig erachten. Obwohl wahrscheinlich viele Leser dieses Prinzip unmittelbar einleuchtend finden werden, müssen wir an dieser Stelle kurz innehalten, um uns über seine Quellen und Grenzen klarzuwerden.
Wenn Sie der Ansicht sind, daß es objektiv wichtig ist, wie Ihr Leben verläuft, sollten Sie über folgende wichtige Frage nachdenken: Halten Sie Ihr eigenes Leben deshalb für objektiv wichtig, weil Ihr Leben in irgendeinem Sinn besonders ist, so
434 daß dieser Gedanke damit konsistent wäre, die Leben anderer Menschen als nicht in derselben Weise wichtig zu behandeln? Oder weil Sie jedes Leben eines Menschen für objektiv wichtig halten?
Natürlich haben Sie ein besonderes Verhältnis zu Ihrem eigenen Leben und das zweite Prinzip der Würde – das der Authentizität – besagt, daß Sie darum eine besondere Verantwortung für dieses Leben tragen. Aber das ist eine andere Frage. Im Moment geht es mir nur um das erste Prinzip. Gibt es einen Grund, warum es Ihnen wichtig sein sollte, ob das Leben anderer Personen gelingt oder scheitert, oder trifft das nur auf Ihr eigenes Leben zu? Es stimmt natürlich, daß kaum jemand sich so sehr um Ihre eigene Situation kümmern wird wie Sie selbst. Die Tatsache, daß Ihr eigenes Schicksal Ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich wie kein anderes in Beschlag nimmt, kann aber durch jene eben erwähnte besondere Verantwortung erklärt werden. Lassen Sie sich also nicht von der ursprünglichen Frage ablenken, ob die objektive Wichtigkeit Ihres eigenen Lebens etwas Universelles widerspiegelt – ob also Ihr Leben diesen Wert hat, weil es sich um ein menschliches Leben handelt – oder eine Besonderheit ist, weil Sie etwas haben, was anderen abgeht.
Subjektive Werte sind von Natur aus besonders. Kaffee kommt nur aus der Perspektive der Menschen, die Kaffee lieben, Wert zu. Im Prinzip könnte es sich dabei um alle zu einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Menschen handeln, aber das wäre dann nur zufällig der Fall. Objektive Wichtigkeit hängt aber nicht von individuellen Vorlieben, Meinungen oder Wünschen ab und ist somit von jeder besonderen emotionalen Beziehung unabhängig, die identitätsbasierten eingeschlossen. Weil es keine metaphysischen Wertteilchen gibt, kann es sich bei objektiven Werten nicht um rohe Tatsachen handeln; es muß immer möglich sein, sie argumentativ zu verteidigen. Welche Argumente könnte jemand nun dafür anführen, daß sein Leben auf besondere Weise wichtig ist?
435 Die andere Sichtweise, daß jene Wichtigkeit universell ist, wird von vielen Menschen vertreten. Zahlreiche Religionen lehren, daß ein Gott die Menschen nach seinem Bilde geschaffen habe und sich um alle gleichermaßen kümmert. Auch säkulare Humanisten halten das menschliche Leben für heilig und das Scheitern eines Lebens für eine vergeudete Gelegenheit, die für den ganzen Kosmos Bedeutung hat.
1 Die meisten von uns reagieren auf tatsächliche oder fiktive Tragödien, in die vollkommen Fremde verwickelt sind, mit mehr oder weniger intensiven Emotionen. Wir trauern um Adonis und um die anonymen Opfer von Erdbeben und Tsunamis in anderen Ländern. Die universelle Sichtweise paßt vortrefflich zu all diesen uns allen vertrauten Meinungen und Reaktionen.
Welche Argumente könnte man hingegen dafür anführen, daß es um etwas
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