Gerechtigkeit fuer Igel
jeder das Recht, sich auf sein eigenes Fortkommen in diesem Wettrennen zu konzentrieren, ohne sich um die Tatsache zu scheren, daß ein Sieg notwendigerweise die Niederlage anderer bedeutet. Diese unvermeidbare Art der Schädigung anderer wird von den Juristen des alten Rom als damnum sine injuria , also als »Schaden ohne Unrecht« bezeichnet. Es gehört zu unserer persönlichen Verantwortung, daß wir die Unvermeidbarkeit und Zulässigkeit von Konkurrenzschaden akzeptieren – oder anders gesagt: Es macht unsere vielen Verantwortlichkeiten zu etwas Persönlichem.
Absichtliche Schädigung – etwa wenn Sie die Schwimm
488 bahn wechseln, nicht um anderen zu helfen, sondern um ihnen zu schaden – ist eine ganz andere Sache. Es muß zwar erlaubt sein, hinsichtlich der eigenen Lebensführung mit anderen zu konkurrieren, aber es gibt kein Recht, ihnen absichtlich Schaden zuzufügen. Ganz im Gegenteil können wir jene Verantwortung für unser eigenes Leben nur wirksam umsetzen, wenn wir moralisch vor absichtlicher Schädigung durch andere geschützt sind. Im sechsten Kapitel habe ich unterschiedliche Stränge einer übergreifenden Idee der Verantwortung unterschieden. Wie ich dort ausgeführt habe, folgt aus einer Verantwortung für bestimmte Aufgaben, daß die betreffende Person spezifische Funktionen zu erfüllen hat, und so wird auch deutlich, wem Versagen vorgeworfen werden kann, wenn eine bestimmte Aufgabe nicht adäquat erfüllt wird. Das zweite Prinzip macht jeden von uns für die Aufgabe verantwortlich, das eigene Leben adäquat zu führen. Das setzt aber voraus, daß wir ein entsprechendes Maß an Kontrolle haben, wozu auch die Macht gehört, zu bestimmen, welche Handlungen in der Ausführung der uns aufgetragenen Aufgabe vollzogen werden müssen. Sie können nicht für die Aufgabe verantwortlich sein, eine Partie Schach mit Schwarz zu spielen, wenn jemand anderes das Recht und die Macht hat, die schwarzen Figuren nach seinem eigenen Willen mit Ihrer Hand zu bewegen.
Mit dem moralischen Verbot, andere absichtlich körperlich zu verletzen, wird ein Kern jener Kontrolle umrissen, den wir nicht aufgeben können, ohne aus der Verantwortung für unsere Lebensführung eine Farce zu machen. Eine Mindestbedingung dieser Verantwortung ist, daß wir allein bestimmen, was mit oder in unserem Körper geschieht.
1 Das Verbot, das Eigentum anderer absichtlich zu beschädigen, ist weniger wichtig, aber ebenfalls von zentraler Bedeutung. Ohne ein hohes Maß an Vertrauen in unser Recht und unsere Macht, über die Verwendung der uns allein durch die etablierte politische Ordnung zur Verfügung gestellten Ressourcen selbst zu bestimmen, können wir unser Leben nicht gestalten. Es ist wich
489 tig, daß wir dieses für eine eigenbestimmte Lebensführung notwendige Recht der Kontrolle nicht mit dem Recht auf ethische Unabhängigkeit verwechseln, das ich im neunten Kapitel behandelt habe und dem ich mich im 17. Kapitel erneut zuwenden werde. Dieses Recht wird dann eingeschränkt, wenn andere versuchen, an meiner Stelle ethische Entscheidungen für mich zu treffen; das Recht, um das es mir hier geht, wird dann eingeschränkt, wenn andere in meine Kontrolle über meinen eigenen Körper oder mein Eigentum eingreifen, aus welchem Grund auch immer.
Zwischen Konkurrenzschaden und absichtlicher Schädigung zu unterscheiden ist also von zentraler Bedeutung für unser Verständnis von Würde, selbst wenn die fragliche Schädigung trivial erscheinen mag. Jemanden ohne Erlaubnis auch noch so sanft zu berühren, verletzt ein Tabu. Wir willigen ein, daß andere eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Macht über unseren Körper haben – Liebhaber, Zahnärzte und gegnerische Spieler in bestimmten Sportarten zum Beispiel. Unter manchen sehr streng eingeschränkten Umständen ist es aus paternalistischen Gründen gerechtfertigt, daß andere eine zeitlich begrenzte Kontrolle über meinen Körper übernehmen – etwa um mich in einem Moment des Wahnsinns davon abzuhalten, mir selbst weh zu tun. Eine allgemeinere Übertragung der Kontrolle über die Integrität meines Körpers, insbesondere an Personen, denen wenig an meinen eigenen Interessen gelegen ist, ist aber mit der Bewahrung meiner Würde unvereinbar. Nur wenn wir diese Verbindung zwischen Würde und körperlicher Kontrolle anerkennen, können wir verstehen, warum es intuitiv als so entsetzlich empfunden wird, jemanden zu töten, während dies nicht der Fall ist, wenn es darum
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