Gerechtigkeit fuer Igel
angemessenen Verbindung von reflexiver Verantwortung und Haftungsverantwortung. Um auszumachen, was eine gelungen Lebensführung für mich bedeutet, und um entsprechend zu leben, müssen mein Körper und mein Eigentum meiner Kontrolle unterliegen. Und ich muß Ihnen dieselbe Kontrolle zugestehen. Welche Art von Haftungsverantwortung für meine eigenen Entscheidungen und entsprechend auch für die Entscheidungen aller anderen soll ich demnach befürworten? Um das zu beantworten, müssen wir das zweite Prinzip der Würde weiter auslegen.
Wir müssen ein System des Risikomanagements ausarbeiten, das die Kontrolle, die jeder von uns über sein eigenes Schicksal ausübt, maximiert, da wir jeweils dieselbe Kontrolle im Fall aller anderen anerkennen und achten müssen. Solche Systeme können auf einer Skala der Größe des Risikotransfers verortet werden. Je eher ein System zufällige Verluste bei der in erster Instanz von ihnen betroffenen Person beläßt, desto weniger Risikotransfer beinhaltet es, und je mehr Haftungsverantwortung für solche Verluste es anderen zuschreibt, desto mehr Risikotransfer liegt vor. In bestimmter Hinsicht habe ich in einem System, das mehr Risikotransfer umfaßt, mehr Kontrolle, weil meine Vorhaben durch zufällige Schäden weniger beeinträchtigt werden, als wenn die Verluste an mir hängenbleiben würden. In anderer Hinsicht könnte man dasselbe über ein System mit geringem Risikotransfer sagen, weil ein solches System mich in geringerem Umfang haftbar macht, andere für Unfälle zu kompensieren, zu denen ich beitrage, und ich freier darin bin, meine Vorhaben zu verfolgen, ohne dabei durch das Risiko einer Haftung eingeschränkt zu werden.
Aus diesem Grund sollten wir nach einem System der Haftungsverantwortung streben, das uns ein Höchstmaß an vorgängiger Kontrolle erlaubt und Kontrollgewinne und -verluste
493 in den beiden genannten Richtungen abwägt. Ein erster Schritt wäre, zu verlangen, daß ein solches System Menschen für diejenigen Verluste verantwortlich macht, die sie durch größere Sorgfalt oder Aufmerksamkeit hätten verhindern können. Das erlaubt es mir, die Haftungsverantwortung, die ich für anderen zugefügte Schäden trage, einigermaßen zu kontrollieren – indem ich mehr Vorsicht walten lasse –, und schützt mich zugleich vor der Unachtsamkeit, die andere an den Tag legen. Dieses Ihnen sicher vertraute Prinzip, daß wir darauf achten müssen, andere nicht aus Unachtsamkeit zu schädigen, wird wie die anderen in diesem Kapitel vorgeschlagenen Prinzipien sowohl durch die Ethik als auch durch die Moral gestützt.
Wieviel Achtsamkeit kann aber von uns verlangt werden? Wenn ich ständig so vorsichtig wie nur möglich sein müßte, um anderen nicht zu schaden, würde das mein Leben nicht aufwerten, sondern zerstören. Unter solchen Umständen könnte ich nicht einmal meinen Garten pflegen. Mein Ziel, die Kontrolle über mein eigenes Leben zu vergrößern, macht also eine sinnvollere Metrik der Haftungsverantwortung nötig. Im Rahmen des US -amerikanischen Common Law hat sich nach und nach ein Standard herauskristallisiert, der erstmals und in quasimathematischer Form durch den großen Richter Learned Hand formuliert worden ist. Ihm zufolge hängt, wieviel Achtsamkeit gesetzlich vorgeschrieben werden kann, davon ab, ob wir fairerweise von Menschen erwarten können, sich entsprechend zu verhalten, um das Risiko, andere zu schädigen, zu vermeiden, wobei das, was fair ist, wiederum davon abhängt, wie groß der eventuelle Schaden ist und wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich er eintritt.
4 Die von ihm vorgeschlagene Formulierung zielte auf den wirtschaftlichen Kontext ab und ist in zu primitiver Weise monetär, um auf andere Kontexte Anwendung zu finden. Ihre Struktur spiegelt jedoch eine allgemeine Strategie wider, die von allen Menschen, die versuchen, ihr eigenes Leben in möglichst hohem Maße zu kontrollieren, übernommen werden sollte.
494 Menschen erreichen jeweils die maximale Kontrolle, wenn alle im Prinzip das folgende akzeptieren: Ein jeder sollte die Haftungsverantwortung für einen Schaden tragen, den er unabsichtlich anderen zugefügt hat, wenn dieser Schaden durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen hätte verhindert werden können, die jedoch seine Möglichkeiten und Ressourcen nicht in demselben Ausmaß beeinträchtigen dürfen, wie der von ihm verursachte Schaden wahrscheinlich die Möglichkeiten und Ressourcen anderer beeinträchtigen
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