Gerechtigkeit fuer Igel
Entscheidung darüber, was mit meinem Körper oder meinem Leben geschehen soll. Wenn man mich auf ein Gleis wirft, um anderen das Leben zu retten, erleide ich eine solche Verletzung meiner Würde.
Im Fall der Supermarktkonkurrenz ist also meine Würde
501 nicht betroffen, wenn ich auf die Gleise gestoßen werde, allerdings schon. Das erklärt nicht nur die unterschiedlichen Urteile im Zusammenhang mit der Doppelwirkung, sondern zudem eine Reihe anderer vertrauter Überzeugungen. Auch Menschen, die denken, ein Arzt, der jemandem hilft, Selbstmord zu begehen, handele unmoralisch, würden es für moralisch falsch halten, wenn ein Arzt einem Patienten gewaltsam und gegen seinen Willen lebensverlängernde Maßnahmen aufzwingt. Selbst Felix Frankfurter zeigte sich »schockiert«, als die Polizei einem Verdächtigen eine Magenpumpe durch den Rachen zwängte, um Beweise zu sichern; der Oberste Gerichtshof erklärte ein solches Vorgehen für verfassungswidrig.
12 In all jenen Fällen geht es darum, daß Menschen ein Recht darauf haben, daß ihnen nichts angetan wird, was voraussetzen würde, daß sie nicht das letzte Urteil darüber haben, was mit ihren Körpern am besten geschehen soll.
Das zweite Prinzip verbietet weder Handlungen, die ein Leben retten und einen anderen dem Tod überlassen – etwa wenn ein Patient für eine Lebertransplantation ausgewählt wird –, noch solche, die ein Leben gefährden, das zuvor sicher war – etwa wenn man einen außer Kontrolle geratenen Straßenbahnwagen auf ein anderes Gleis lenkt. Sie sind nur dann unzulässig, wenn sie auf ein Urteil darüber zurückgehen, wie der Körper einer Person am besten zur Rettung einer anderen eingesetzt wird, weil ein solches Urteil eine Usurpation darstellt. Dieser Unterschied erklärt die eben diskutierte moralische und rechtliche Beurteilung unabsichtlicher Schädigung. Sie haben das Recht, mit der üblichen Sorgfalt auf meiner Straße zu fahren, auch wenn selbst sehr umsichtiges Fahren das Risiko für meine Kinder erhöht. Sie haben aber nicht das Recht, meine Kinder auch nur für eine Stunde zu entführen, um mich dazu zu bringen, mehr an Oxfam zu spenden. Unter bestimmten Bedingungen haben kriegführende Staaten das Recht, Munitionsfabriken des Feindes zu bombardieren, auch wenn sie wissen, daß dadurch unschuldige Zivilisten sterben werden. Aber sie
502 haben nicht das Recht, Zivilisten zu bombardieren, um andere durch diese Strategie des Schreckens zur Aufgabe zu zwingen. Den Tod einer anderen Person zu beabsichtigen ist moralisch schlimmer, als ihn einfach bewußt zu verursachen, weil die beabsichtigte Tötung eine Verletzung der Würde darstellt.
Unsere Reaktionen auf jene Beispiele im Zusammenhang mit der Doppelwirkung hängen also mit diesen Unterscheidungen zusammen. Ebenso wie es mir erlaubt ist, auf eine Weise zu handeln, die Ihnen Schaden zufügt oder Sie dem Risiko eines Schadens aussetzt, um mir einen Vorteil zu verschaffen, kann ich auch entsprechend zum Vorteil anderer handeln, wieder vorausgesetzt, daß ich im Rahmen meiner Rechtfertigung kein Recht beanspruche, zu entscheiden, was mit Ihnen am besten geschehen soll. Wenn Sie und ich eine Transplantation benötigen, aber nur eine Leber verfügbar ist, oder wir beide am Ertrinken sind und nur einer von uns gerettet werden kann, dann ist die Tatsache, daß der Verlierer sterben wird, nur den Umständen geschuldet – daß nämlich jemand anderes ebenfalls da ist und Hilfe benötigt. Niemand hat entschieden, daß einer von uns beiden unabhängig von den Umständen nicht überleben soll oder daß angesichts der vorliegenden Umstände etwas mit seinem Körper geschehen oder ihm angetan werden sollte. Wenn der Verlierer überhaupt nicht da wäre, wo er ist, wenn er sich also in Sicherheit befände, käme das dem Retter sehr entgegen.
Das ist bei Fällen, in denen eine sterbende Person nur gerettet werden kann, indem man jemand anderes tötet, anders. Der Retter, der diese Entscheidung trifft, hat zuvor eine bestimmte Überzeugung entwickelt, aus der heraus er nun handelt. Er hat entschieden, daß der Herzpatient, der nur noch wenige Wochen zu leben hat, sofort sterben soll, so daß ein jüngerer Mensch leben kann. Natürlich kann der Herzpatient diese Entscheidung auch selbst treffen und darauf bestehen, daß er das nächste Mal, wenn das nötig wäre, nicht reanimiert wird – oder daß er, wenn das Gesetz dies zuläßt, sofort getötet
503 wird –, so daß seine Organe
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