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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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wollen. Er ist auf gefällige Weise ökumenisch, denn er erlaubt es seinen Anhängern, so metaphysisch und kulturell bescheiden zu bleiben, wie man es sich nur wünschen kann, und allen Anspruch auf die letztgültige Wahrheit oder auch nur Überlegenheit der eigenen Moralvorstellungen aufzugeben. Zugleich können sie ihre Überzeugungen aber weiterhin mit allem gebotenen Eifer vertreten und Genozid, Abtreibungen, Sklaverei, Geschlechterdiskriminierung und den Mißbrauch des Wohlfahrtsstaates so vehement wie zuvor verurteilen. Sie können einfach sagen, daß sie ihre Position nur hinsichtlich des Status und nicht des Gehalts ihrer Überzeugungen geändert haben. Sie behaupten nicht länger, daß ihre Überzeugungen eine externe Wirklichkeit widerspiegeln, vertreten sie aber immer noch mit derselben Leidenschaft. Obwohl sie also nach wie vor willens sein können, für ihre Überzeugungen zu kämpfen oder sogar zu sterben, hat sich etwas geändert: Sie haben ihre moralischen Überzeugungen zugleich behalten und verloren. Richard Rorty nennt diesen mentalen Zustand »Ironie«.
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    Aus diesen Gründen ist der externe Statusskeptizismus in der Philosophie gegenwärtig sehr viel beliebter, als es der globale interne Skeptizismus und der externe Fehlerskeptizismus je waren, und hat außerdem im geistigen Leben unserer Zeit Fuß gefaßt. Obwohl ich mich im folgenden daher in erster Li
70 nie auf diese Spielart des Skeptizismus konzentrieren werde, betreffen meine Gegenargumente auch alle Formen des externen Skeptizismus, ja sogar all jene scheinbaren Gegenpositionen, denen zufolge wir externe, nichtmoralische Gründe dafür haben können, unsere moralischen Urteile für wahrheitsfähig zu halten. (Weil diese Position oft als philosophischer »Realismus« bezeichnet wird, werde ich ihre Vertreter hier manchmal als »Realisten« bezeichnen.) Meines Erachtens kann man als Philosoph Werturteile nicht von einem Standpunkt aus, der außerhalb der entsprechenden Wertebereiche liegt, für gültig oder ungültig erklären, und darum halte ich letztendlich nur den internen Skeptizismus für interessant. Wenn es tatsächlich weder wahr noch falsch sein sollte, daß Abtreibungen verwerflich sind, daß die US -amerikanische Verfassung Bevorzugung auf der Basis von ethnischer Zugehörigkeit kategorisch verbietet oder daß Beethoven ein bedeutenderer Künstler war als Picasso, dann läge das nicht daran, daß es aus Gründen, die jedem Werturteil vorangehen und die außerhalb der Sphäre der Werte liegen, keine richtige Antwort auf solche Fragen gibt, sondern daran, daß ebendiese Aussage innerhalb der Sphäre der Werte die richtige Antwort ist , oder, anders ausgedrückt, daß es sich hierbei um ein stichhaltiges moralisches, juristisches oder ästhetisches Urteil handelt. (Auf diese Möglichkeit gehe ich im fünften Kapitel näher ein.) Wir können in keinem Wertebereich einen totalen Skeptizismus vertreten.
    Enttäuscht?
    In diesem Kapitel habe ich versucht, zwei Fragen zu klären, die oft als Problem für die gewöhnliche Sichtweise wahrgenommen werden: Was macht ein moralisches Urteil wahr? Und wann können wir ein moralisches Urteil gerechtfertigt für wahr halten? Meine Antwort auf die erste Frage lautet, daß die Wahrheit eines moralischen Urteils, wenn es denn wahr ist, von der Exi
71 stenz einer angemessenen moralischen Argumentation dafür abhängt, daß es wahr ist. Das bringt uns aber sofort zu einer weiteren Frage: Was macht eine bestimmte moralische Argumentation oder Begründung zu einer angemessenen? Die einzig mögliche Antwort lautet: weitere moralische Argumente für diese Angemessenheit, und so geht es immer weiter. Das bedeutet nicht, daß moralische Urteile durch die moralischen Argumente, die faktisch für sie angeführt werden, wahr gemacht werden, denn die betreffenden Argumente können ja durchaus unangemessen sein. Auch die Tatsache, daß ein konkretes Urteil mit anderen moralischen Urteilen harmoniert, macht es noch nicht wahr, denn Kohärenz ist, wie ich im sechsten Kapitel zeigen werde, zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Wahrheit. Die Wahrheit eines moralischen Urteils verdankt sich der angemessenen Begründung seiner Wahrheit, und darüber hinaus gibt es, wie ausgeführt, nichts Hilfreiches zu sagen.
    Unter welchen Umständen sind wir gerechtfertigt darin, ein moralisches Urteil für wahr zu halten? Meine Antwort lautet: wenn wir darin gerechtfertigt sind, unsere Gründe dafür,

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