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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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entschlossen, weil er eine stärkere Kontrolle seines Staates über die Ölressourcen der betreffenden Region für wichtig hält. Sein Verweis auf eine moralische Pflicht ist nur Fassade, und wenn das unter seiner Regierung angegriffene Land nicht von einem Diktator unterdrückt worden wäre, hätte er eine andere Ausrede erfunden. (Angesichts der Grobschlächtigkeit dieser Beschreibungen muß wohl nicht extra betont werden, daß ich nicht von bestimmten real existierenden Politikern spreche.) Wir würden wahrscheinlich sagen, daß der erste zwar falschlag, aber verantwortungsvoll gehandelt hat, der zweite hingegen nicht, und daß wir letzteren verabscheuen. Aber warum ist dieser Unterschied so wichtig?
    Darauf zu antworten, daß Menschen, die einem Prinzip rigoros Folge leisten, mit höherer Wahrscheinlichkeit das Richtige tun, als jene, die ihren Impulsen gehorchen oder ihren eng verstandenen Eigennutz suchen, ist sehr verlockend, läßt sich aber nicht rechtfertigen, denn es gibt mehr falsche Überzeugungen als richtige. Menschen, die aus einem fehlgeleiteten Prinzip heraus handeln, können teilweise gefährlicher sein als jene, die das nur vorspielen, da letztere sich nur falsch verhalten, wenn das ihrem eigenen Vorteil dient, und durch die Androhung politischer Sanktionen oder rechtlicher Konsequenzen leichter von problematischen Taten abgehalten werden können. Warum preisen wir authentische Überzeugungen dennoch als per se wertvoll? Da wir uns gegen die Hypothese der kausalen Einwirkung entschieden haben, können wir nun nicht behaupten, daß wirklich überzeugte Menschen, solange sie recht haben, von der moralischen Wahrheit geleitet werden, während unehrliche nur durch Zufall das Richtige tun. Auch wenn eine Überzeugung mit vollem Ernst vertreten wird, handelt es sich dabei nicht um eine kausale Einwirkung moralischer Wahrheit.
    Nehmen wir an, das Verhalten des ehrlichen Politikers ist auf seine Überzeugungen hinsichtlich der moralischen Pflicht
193 mächtiger Staaten zurückzuführen, während moralische Überzeugungen in einer kausalen Erklärung des Handelns jenes unehrlichen Politikers nicht vorkommen. Selbst wenn wir das zugeben würden, könnte die kausale Rolle der Überzeugung in jenem ersten Fall weder erschöpfend noch besonders tiefgehend sein. Wir können zwar erklären, warum der ehrliche Politiker einen Krieg begonnen hat, indem wir auf seine Überzeugungen verweisen, müssen aber in der Folge fragen, warum er diese Überzeugungen vertritt, und nicht andere, die ebenfalls weitverbreitet sind; und unsere Antwort auf diese Frage wird letztlich auf die von mir bereits beschriebene erweiterte persönliche Lebensgeschichte hinauslaufen oder auf eine Vermutung darüber, was wir vorfinden würden, wenn wir mehr über diese Geschichte wüßten. Wenn wir der Kausalkette weit genug nachspüren würden, würde sich zeigen, daß das kulturelle Umfeld, die Ausbildung, genetische Faktoren und sogar der Eigennutz das Verhalten ehrlicher wie unehrlicher Menschen letztendlich im Grunde gleichermaßen erklären. Es ist durchaus denkbar, daß der ehrliche Politiker, wenn er in einer anderen Kultur oder Familie aufgewachsen wäre oder vielleicht andere genetische Voraussetzungen mitgebracht hätte, glauben würde, daß mächtige Staaten kein Recht haben, in die Geschichte anderer Völker einzugreifen, auch nicht, um sie von einer grausamen Diktatur zu befreien. Warum ist es also so wichtig, daß die Kausalkette in dem einen Fall relativ nah an der tatsächlichen Handlung über den Filter bestimmter Überzeugungen verläuft, im anderen aber nicht?
    Im siebten Kapitel werde ich versuchen, eine Verbindung zwischen Moral und Ethik aufzuzeigen. Meines Erachtens streben wir kurz gesagt in unserem Umgang mit anderen Menschen danach, moralischen Überzeugungen gerecht zu werden, weil unsere Selbstachtung das verlangt. Das liegt daran, daß wir unser eigenes Leben nicht konsistent als objektiv wichtig behandeln können, ohne zu akzeptieren, daß die Leben aller anderen Personen ebenfalls objektiv bedeutsam sind. Wir erwarten von
194 anderen, dieses fundamentale Prinzip der Würde des Menschen zu respektieren, und oft tun sie das tatsächlich. Diese Überzeugung erscheint uns als die Grundlage jeder Zivilisation, aber wir wissen, daß viele Menschen hinsichtlich der Frage, welche moralischen Überzeugungen sich noch aus diesem Prinzip ergeben, zu ganz anderen Ergebnissen kommen als wir selbst. Im vierten und fünften

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