Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
Moralität beginne und ende mit der konsensuellen Vereinbarung, dürfte diese Behauptung ungeheuerlich vorkommen. Doch sie ist gar nicht so umstritten. Oft genug stellen wir die Fairness abgeschlossener Vereinbarungen in Frage. Außerdem sind wir uns der Zufälligkeiten bewusst, die zu schlechten Abschlüssen führen können: Eine der Parteien kann vielleicht besser verhandeln oder ist in einer vorteilhaften Verhandlungsposition, oder sie verfügt über einen Wissensvorsprung. Die berühmten Worte Don Corleones in Der Pate – »Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann« – lassen an den Druck denken, der auf manchen Verhandlungen liegt.
Wenn wir anerkennen, dass Verträge nicht zwangsläufig gerecht sind, heißt das nicht, dass wir unsere Vereinbarungen nach Belieben brechen können. Wir sind möglicherweise verpflichtet, selbst einen unfairen Handel zu erfüllen, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Unser Einverständnis zählt, auch wenn es nicht zwangsläufig zur Gerechtigkeit führt. Allerdings ist es weniger entscheidend, als wir manchmal glauben. Oft schreiben wir der Vereinbarung eine moralische Verbindlichkeit zu, die sich eigentlich aus anderen Quellen speist.
Nehmen wir an, wir schließen ein Geschäft ab: Sie bringen mir hundert Hummer, und ich bezahle Ihnen 1000 Dollar. Sie fangen und liefern die Hummer, ich esse sie mit Genuss, weigere mich aber, dafür zu bezahlen. Nun behaupten Sie, ich schulde Ihnen das Geld. »Warum?«, frage ich. Sie verweisen vielleicht auf unsere Abmachung, aber ebenso gut könnten Sie auf die harte Arbeit hinweisen, die Sie verrichten mussten, um die Hummer in die Falle zu kriegen, während Sie sich darauf verließen, ich würde sie auch kaufen. Sie könnten sagen, wegen der Anstrengungen, die Sie in meinem Interesse geleistet hätten, sei ich verpflichtet zu bezahlen.
Nun wollen wir uns ansehen, ob wir uns einen Fall ausdenken können, bei dem die Verpflichtung allein auf einer Vereinbarung beruht – ohne das zusätzliche moralische Gewicht der Arbeit, die Sie in meinem Interesse geleistet haben. Wir schließen den gleichen Handel noch einmal ab, doch kurz darauf, noch ehe Sie eine Sekunde darauf verwendet haben, Hummer einzubringen, rufe ich Sie an und sage: »Ich habe es mir anders überlegt. Ich will keine Hummer mehr.« Schulde ich Ihnen nach wie vor die 1000 Dollar? Erwidern Sie: »Eine Abmachung ist eine Abmachung«, und bestehen darauf, dass meine Zustimmung eine Verpflichtung nach sich zieht, selbst wenn keinerlei Leistung erbracht worden ist?
Über diese Frage debattieren Rechtsphilosophen seit langer Zeit. Kann eine Vereinbarung als solche bereits eine Verpflichtung begründen, oder ist dazu auch eine Leistung oder gegenseitiges Vertrauen erforderlich? 3 Diese Auseinandersetzung sagt uns etwas über den moralischen Gehalt von Verträgen: Konkreten Abmachungen kommt nämlich nur insofern moralisches Gewicht zu, als sie zwei Ideale verkörpern: Selbstbestimmung und Gegenseitigkeit.
Als freiwillige Handlungen drücken Verträge unsere Autonomie aus; die daraus entstehenden Verpflichtungen haben Gewicht, weil sie selbstauferlegt sind – wir nehmen sie freiwillig auf uns. Und als Werkzeuge wechselseitigen Nutzens beziehen sich Verträge auf das Ideal der Gegenseitigkeit; die Verpflichtung, sie zu erfüllen, erwächst aus der Pflicht, anderen ihre Leistungen zu vergelten.
In der Praxis sind diese Ideale – Autonomie und Gegenseitigkeit – unvollkommen verwirklicht. Manche Abmachungen erfolgen zwar freiwillig, sind aber nicht für beide Seiten von Vorteil. Und manchmal sehen wir uns verpflichtet, jemandem etwas zurückzuzahlen, selbst wenn keine explizite Abmachung getroffen worden ist. Das verweist auf die Grenzen der Übereinkunft: In manchen Fällen reicht sie nicht aus, eine moralisch bindende Verpflichtung hervorzubringen; in anderen ist eine Übereinkunft vielleicht gar nicht notwendig.
Grenzen der Übereinkunft:
Baseballbilder und Toiletten
Sehen wir uns zwei Fälle an, in denen eine Vereinbarung allein nicht ausreicht: Als meine beiden Söhne jung waren, sammelten sie Baseballbilder und tauschten sie untereinander. Der Ältere wusste mehr über die Spieler und den Wert der Bilder. Gelegentlich bot er seinem jüngeren Bruder einen Tausch an, der unfair war – sagen wir, zwei Einwechselspieler gegen den Superstar Ken Griffey, Jr. Ich führte also eine Regel ein, wonach kein Handel abgeschlossen war, solange ich ihn nicht genehmigt
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