Gerettet von deiner Liebe
Aufmerksamkeit zu wecken. Er beobachtete, wie ihre Gesichtszüge eine Spur weicher wurden. Und plötzlich stellte er fest, dass Loisa Alderson schöne Lippen hatte. Eine Frau, die zumindest ein hübsches Merkmal aufzuweisen hatte, war nicht hoffnungslos verloren.
Ein wenig zufriedener widmete er sich seinem Frühstück. Noah hatte seinen Toast gegessen und warf einen Blick zur Anrichte. „Willst du noch mehr?“, flüsterte James.
„Ich trau mich nicht“, antwortete Noah gleichfalls flüsternd.
„Ich trau mich schon“, meinte James, stand auf, häufte sich noch einmal Rührei und Schinken auf den Teller und gab Noah die Hälfte davon ab.
Loisa ließ ihn dabei nicht aus den Augen. „Dieses Kind ist unersättlich und sollte darin nicht auch noch bestärkt werden, Mr. Trevenen.“
Noah erschrak, seine Gabel verharrte auf halbem Weg zum Mund. James legte ihm die Hand auf die Schulter. „Keine Bange, mein Junge“, raunte er. „Iss, solange es dir schmeckt.“
Mit festem Blick wandte James sich an Loisa. „Noah hat Hunger, Miss Alderson“, sagte er ungerührt. „Wenn er satt ist, hört er auf zu essen. Der Junge ist im Wachsen. Im Übrigen ist ein Kind ständig in Bewegung. Auf unserem Spaziergang nach Spring Grove wird er wie üblich herumhopsen. Ich glaube nicht, dass die Gefahr besteht, Noah könnte in jungen Jahren Fett ansetzen.“ Er hoffte, sie würde ihm nicht widersprechen.
Zu seiner Erleichterung schwieg sie tatsächlich. Noah beendete in Ruhe sein Frühstück und wischte sich mit der Serviette artig den Mund ab. Vielleicht machte ihm James’ Gegenwart Mut, jedenfalls sagte er mit fester Stimme: „Ich wünsche dir einen schönen Tag, Tante Loisa.“
Sie schwieg. Aber Noah lächelte zu James auf. „Ich glaube, Mama ist bald mit ihrem Bild fertig, und Neptun muss dringend gebürstet werden.“
Bravo, mein Junge, dachte James. Du bist mutiger als ich. „Gut, Noah. Geh voraus, wenn du willst. Ich trinke meinen Tee aus und komme nach.“
Wieso er auch nur eine Sekunde länger bleiben wollte, hätte er nicht erklären können. Er hatte weder die Geduld noch Grund, auch nur einen Satz mit dieser griesgrämigen Person zu wechseln, und sah keinen Sinn, sich in langjährige Familienzänkereien einzumischen. Im Übrigen blieb er nur zwei Wochen.
Noah ging, und James trank seinen Tee, ohne zu wissen, was er sagen sollte. Das war auch nicht nötig, denn Loisa richtete das Wort an ihn.
„Ist es tatsächlich Ihr Wunsch, dass meine Schwester Sie zu Sir Percival begleitet?“
„Selbstverständlich“, antwortete er.
„Und was tun Sie, wenn man sie nicht empfängt?“
Er hatte erwartet, zynischen Triumph in ihrer Stimme zu hören, aber er glaubte sogar, eine winzige Spur Besorgnis herauszuhören.
„Das weiß ich nicht“, gestand er freimütig, und dann überraschte er sich selbst. „Miss Alderson, könnte ich Sie überreden, uns zu begleiten? Wenn Sir Percivals Mutter keine Sünder in ihrem Haus duldet – ich spreche dabei von mir, nicht von Ihrer Schwester –, könnten wir eine Spazierfahrt im Park machen. Sie sind herzlich eingeladen, uns zu begleiten.“
Offenbar hatte er sie erschreckt. Loisa erwartete anscheinend nicht, zu irgendetwas eingeladen zu werden. Sie zögerte sogar, bevor sie Nein sagte.
„Schade“, entgegnete James achselzuckend. „Aber ich nehme an, Sie haben eine Menge Verpflichtungen hier im Haus.“ Damit erhob er sich.
Sie ist keine besonders gute Schauspielerin, überlegte er, als er den Anflug von Wehmut bemerkte, der über ihr Gesicht huschte. Ganz im Gegenteil, Miss Alderson, Sie haben gar nichts zu tun, nicht wahr?, dachte er. Ihre Schwester hat wenigstens die Aufgabe, ihren Sohn großzuziehen und Aquarelle für ihren Patenonkel zu malen, und Sie haben nichts, um die endlosen Stunden der Langeweile zu vertreiben. Wie traurig.
„Sollten Sie Ihre Meinung ändern, würden wir uns über Ihre Gesellschaft freuen“, sagte er und hoffte, aufrichtig zu klingen. Nicht zu fassen, dachte er. Ich habe Sir Percival beschwindelt, Lord Watchmere eine schamlose Lügengeschichte über Tukane erzählt, und nun flunkere ich seine Tochter Loisa an. Woher nimmst du nur die Dreistigkeit, James Trevenen?
An der Tür blieb er kurz stehen, den Knauf bereits in der Hand. „Miss Alderson, ich halte sie für eine ausgesprochen tüchtige Frau. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Sie saß am Frühstückstisch und klappte den Mund auf und zu wie ein Karpfen auf dem Trockenen.
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