Gerettet von deiner Liebe
entwickelt.“
Susannah spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Ich bedaure so vieles, was dich betrifft …“
Abwehrend hob Loisa die Hand. „Lassen wir die Vergangenheit ruhen und blicken nach vorne, da wir beide aus unseren Fehlern gelernt haben.“
Susannah wusste nicht, was sie sagen sollte, hob schweigend Loisas Hand an die Lippen und drückte einen Kuss darauf.
Der Archivar kam mit einem Päckchen und einem Stundenglas zurück, stellte beides auf den Tisch und ließ sie allein. Susannah öffnete das Paket und rümpfte die Nase über den Teergeruch. Loisa zog die Lampe näher und nahm Papier und Stift aus ihrem Retikül. „Ich schreibe auf, falls du etwas festhalten willst.“
Susannah nickte und schlug die letzten Seiten im Buch auf. „In seiner Abhandlung schreibt James, dass er am 4. September 1803 auf der Insel gestrandet ist. Schreib das auf, Loisa.“ Sie starrte auf die Zeichnung der Krabbe auf der letzten Seite und die winzige Schrift, um Platz zu sparen.
„Überblättere die letzten Seiten“, befahl Loisa mit einem Blick auf die Sanduhr.
Susannah blätterte das Buch rasch von hinten nach vorne durch, überflog die Daten, bis sie auf eine unbekannte Handschrift stieß. „Das muss der Kapitän geschrieben haben“, murmelte sie.„Nichts von Belang. Wachen, Krankheitsfälle, Vorratslisten, Windrichtungen.“ Sie blätterte wieder nach hinten, und dann stutzte sie. „Hier ist es, Loisa.“ Ihre Stimme zitterte, als sie Mr. Trevenens gewissenhafte Schrift erkannte. „Das Datum ist der 9. August 1803.“
Nahezu einen Monat in einem winzigen Boot, das hilflos auf dem Ozean trieb. Leise las sie den Eintrag.
Orion gesunken. Auf diesem Längengrad gibt es Korallen riffe. Dieser verdammte Steuermann. Hier sind wir nun. James Lawrence Trevenen, 21, Zweiter Offizier. John Wes ton, Matrose. Bill Bright, Matrose. Walter Shepherd, Mat rose. Timothy Rowe, Schiffszimmermann. Ich bin der Einzi ge in Uniform. Ich kam an Deck zur Wachablösung, als wir auf das Riff aufliefen. Rumpf aufgeschlitzt wie eine Melone. Kein Essen im Boot, abgesehen von dem, was jeder in den Taschen hat. Es ist mein erstes Kommando. Gott schütze den König.
Loisa las über Susannahs Schulter mit. „Nächste Seite“, befahl sie, nachdem sie die Namen der Schiffbrüchigen notiert hatte.
Gemeinsam überflogen sie die Einträge, jeder knapper als der vorherige. „Stell dir nur die Verantwortung vor, Loisa“,flüsterte Susannah.
Zwei Wochen später fiel John Weston ins Delirium, ließ sich vom Bootsrand ins Wasser fallen, nachdem er Lieutenant Trevenen erklärt hatte, er hole schwimmend im Hafen von Portsmouth Hilfe. Keiner hatte die Kraft, ihm hinterherzurudern.
Susannah las weiter, James’ Handschrift wurde immer krakeliger, beinahe unleserlich. Bei einem Eintrag zwei Tage nach dem Selbstmord des Matrosen stutzte sie. „Das verstehe ich nicht“, murmelte sie und las laut. „‚Seemannsbrauch. Bright ist der nächste. Er ist einverstanden. Dürfen wir das tun?‘“
Und plötzlich begriff sie alles. „Guter Gott“, hauchte sie tonlos und lehnte sich an Loisa. „Ich wage nicht, umzublättern.“
Loisa hatte den Zusammenhang noch nicht begriffen, aber sie kannte den Ozean nicht, diese unendliche Weite.
Susannah entsann sich an die Schiffsreise nach Indien an der Seite ihres frisch angetrauten Ehemannes, eine unbeschwerte Zeit, in der sie nichts anderes im Kopf hatte als David und ihr gemeinsames Glück. Doch dann hatte sie zufällig ein Gespräch belauscht, das sie vor Entsetzen verdrängt hatte, bis zu diesem Augenblick.
Sie war alleine an Deck gegangen, hatte sich an die Reling gelehnt und die würzige Seeluft in vollen Zügen eingeatmet nach der stickigen Schwüle unter Deck.
In der Nähe des Hauptmastes lungerten ein paar Seeleute herum, besserten Segel aus und redeten halblaut miteinander. Sie schenkte den Männern keine Beachtung, da sie zu sehr mit Gedanken an ihre Zukunft in Indien beschäftigt war und mit ihrer Hoffnung, ein Kind könne unterwegs sein.
Und dann erhob ein Matrose die Stimme. „Und sie haben ihn roh gegessen.“
Susannah hütete sich, in die Richtung der Seeleute zu schauen, hörte ihnen nun allerdings entsetzt zu.
Plötzlich schaute ein Matrose in ihre Richtung. Sie bemerkte seinen Blick aus den Augenwinkeln, gab aber vor, nichts gehört zu haben. Von diesem Moment an unterhielten die Männer sich nur noch halblaut. Sie aber verdrängte das, was sie gehört hatte und
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