German Angst
Vorhänge waren zugezogen, auf einem mit Zeitschriften und Bildbänden überhäuften Tisch brannte eine zerkratzte rote Leselampe. An der Wand hinter dem Sofa, auf dem der Mann lag, hing ein gerahmtes Plakat des Films »Die Hard II«. Auf einem Bücherregal waren zwischen zwei Lexika an der rechten und linken Außenseite Videokassetten gestapelt. Einen der Filmtitel konnte Tabor Süden im trüben Licht lesen:
»Tokio Dekadenz«.
Unter einer braunen Wolldecke lag Herbert Sick auf dem Sofa, die Beine angewinkelt, den Kopf auf einem Kissen nach hinten gebeugt. Er stierte nach oben, während er sprach.
»Jetzt mandelnS Eahna net so, Sie Polyp. Ich war net in dem Taxi und basta. Ich war den ganzen Tag hier, fragenS mei Oide, die bestätigt Eahna des. San Sie net ganz sauba? I fahr niemand zamm, i kann nämlich Auto fahren, und Kinder fahr i schon von Haus aus net zamm. Kapiert? Alles klar? Und wiederschaun.«
Er zog die Decke über den Mund und drehte sich zur Wand.
»Ihre Freundin war eine halbe Stunde einkaufen«, sagte Sonja. Süden hatte sie nicht davon abhalten können mitzukommen, und er war, wie schon oft, froh darüber. Sick rührte sich nicht.
»Ihr Chef hat erklärt, Sie hätten das Taxi heut gefahren«, sagte Süden. Anders als gewöhnlich hatte er ein Diktaphon dabei, das jedes Wort aufzeichnete. Normalerweise schrieb er mit oder hörte nur zu und tippte hinterher seinen Bericht aus dem Gedächtnis. Heute brauchte er den unwiderlegbaren Originalton.
»I war hier, i bin krank, i hab a Zeugin und Sie san illegal in mei Wohnung eingedrungen«, sagte Sick und Süden hielt das Aufnahmegerät dicht über seinen Kopf, da er unter der Decke kaum zu verstehen war.
»Sie kriegen eine Anzeige wegen versuchter vorsätzlicher Tötung«, sagte Süden.
»Von mir aus«, sagte Sick und nahm die Decke vom Gesicht, drehte sich aber nicht zu seinen Besuchern um.
»Mir passiert gar nix, i hab an Anwalt, der zerlegt Sie, so schnell können Sie überhaupts net schaun. Und jetzt schleichenS Eahna! Pronto!«
»Sie bleiben also dabei, Herr Sick«, sagte Sonja, »Sie sind heute nicht mit Ihrem Taxi unterwegs gewesen, obwohl Ihr Chef das Gegenteil behauptet.«
»Genau.« Sick stierte wieder zur Zimmerdecke hinauf. Kurz nachdem die beiden Kommissare gegangen waren, rief er bei seinem Chef an.
»Die drohen bloß«, sagte Norbert Scholze. »Ich sag denen, ich hab mich geirrt, und die können dir gar nichts anhaben, verlass dich auf mich!«
»Der Polyp hat mei Autonummer aufgschrieben.«
»Ich erkundige mich, was das für einer ist. Ich hab viele Freunde bei der Polizei, vielleicht haben die einen Vorschlag, wie wir den mundtot machen können.«
»I hab koan Bock, wegen dieser kriminellen Negerin in Knast zu fahren.«
»Beruhig dich, Herbi! Morgen haben wir Versammlung, kommst du?«
»Scho wieder? Wir ham uns doch erst troffen.«
»Wir planen etwas. Zusammen mit den Freunden aus Ostdeutschland, eine großartige Sache. Du musst kommen.«
»Ja, vielleicht. I bin net fit, Scheißgrappa verreckta! I hätt heut daheim bleim soin. Scheiße!«
»Du warst ja auch daheim«, sagte Scholze.
»Was war i?« Dann klickte es bei ihm und er bedankte sich bei seinem Chef. Danach ging er in die Küche, wo seine Freundin den Herd putzte, bestellte bei ihr ein Weißbier und wartete entspannt, bis sie ihm das eisgekühlte Glas ans Sofa brachte.
»An Macher wie den Scholze wennst ois Freind und Chef hast, dann bist auf der richtigen Seitn«, sagte er, trank und schwappte seinen Kater zielstrebig runter.
Sie saß in der Küche und trank Kamillentee, der kalt geworden war, weil sie immer nur an Christoph dachte. War es richtig gewesen, ihn zu überreden zur Polizei zu gehen? Ja, die nette junge Polizistin hatte ihnen lange zugehört und war dann sogar mit ihm zum Güterbahnhof an der Arnulfstraße gefahren, wo Lucy oft ihre Freunde traf. Aber würden sie Erfolg haben? Und war das ein Erfolg, wenn Lucy von der Polizei aufgegriffen und mit Gewalt nach Hause zurückgebracht wurde? Christoph schämte sich dafür. Immer wieder hatte er Netty erklärt, seine Tochter würde durch die Polizei nur noch aggressiver und verschlossener werden. Außerdem wüsste, was die Polizei wusste, auch bald die Presse und dann erschienen wieder Fotos und ekelhafte Berichte über Lucy in den Zeitungen. Und wenn sie genügend Platz hatten, druckten sie zusätzlich ein Foto von ihm. Und dann sprachen ihn die Leute, bei denen er Waschbecken und Abflussrohre reparierte,
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