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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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auf seine ungezogene Tochter an und einige stornierten ihre Aufträge. Einem Mann, der so eklatant als Vater versagte, trauten sie auch als Handwerker nichts zu. Sie hätte es nicht tun sollen. Abrupt stand sie auf. Blickte in den Flur hinaus und strich sich über den Mund. Was hatte sie bloß so angestachelt? Warum hatte sie ihrem Geliebten diese defensive, blamable Rolle aufgezwungen, wieder einmal, egoistisch und unerklärlich? Lucy war seine Tochter, er hatte zu entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen waren, um ihr zu helfen, er allein und niemand sonst. Warum-hab-ichdir-das-angetan?
    Als sie in den Flur hinaustrat, musste sie wieder an den Mann denken, der heute früh in ihr Studio gekommen war. Vielleicht war er der Grund, weshalb ihr dieser lange Tag wie ein enger Käfig erschienen war, dessen Gitter sie mit aller Macht sprengen wollte, rücksichtslos, mit jeder Stunde fanatischer und verzweifelter.
    Jetzt, im Flur vor der Haustür, durch die sie diesen Mann freundlich hereingelassen hatte, betete sie darum, ihn nie wieder sehen zu müssen. Sie ahnte nicht, dass ihr Schicksal mit seinem untrennbar verbunden und sein Besuch nur das leise Vorspiel für ein Oratorium der Grausamkeiten war.

3   28. Juli
    A uf die Idee, eine schlagkräftige, jederzeit einsatzbereite Kameradschaft zu gründen, kam er durch einen Aufsatz in den »Staatsbriefen«. Meist überflog er das Heft nur und legte es nach wenigen Seiten auf den Stapel Altpapier im Flur. Von labernden Intellektuellen hielt er nichts, auch wenn sie weitgehend dachten wie er und im Dienst der Deutschen Republikaner und der nationalen Parteien ihre Artikel schrieben. Für Norbert Scholze waren Leute, die eine Brille trugen und immer alles erklären und analysieren wollten, nervtötende Schwätzer, die anderen die Zeit zum Arbeiten stahlen. Wenn so einer in sein Taxi stieg und anfing zu reden, schaltete er auf Durchzug. Zumal die meisten von denen linke Chaoten waren, das erkannte er schon daran, wie sie die Beine übereinander schlugen und ihre Haare gekämmt hatten. Bei einem aus seinem Lager, aus den eigenen Reihen, wie er sagte, hätte er auch nicht viel anders reagiert, hätte er auch bloß geschwiegen und die Laberei über sich ergehen lassen; allerdings hätte er, vermutete er, am Ende nur den halben Preis verlangt, das gehörte sich einfach bei einem Kameraden. Seltsamerweise war das noch nie vorgekommen. Wieso eigentlich nicht, wieso steigen bei mir immer nur diese schwarz gekleideten Grünen und Kommunisten ein, andauernd, als wär da ein Nest hier in München. Scholze wäre stolz gewesen, wenn zum Beispiel der Chefredakteur der »Staatsbriefe« bei ihm eingestiegen wäre, dem hätte er sogar die Hand geschüttelt und ihm gedankt. Er hätte ihm ja nicht zu sagen brauchen, dass er die Hefte immer nur zur Hälfte las, wenn überhaupt, und dass er das meiste nicht verstand und es sowieso für gequirlten Hirnmist hielt. So was sagt man einem Chefredakteur nicht, dachte er, während er am Schreibtisch saß, vor sich den ausgeschnittenen Artikel mit der Überschrift »Die fehlende Faust«. Darin schrieb ein Holger Griefenhahn über die Situation in diesem Land und Scholze fand jeden Satz zutreffend. Hinterher stellte er fest, dass es sich um den Chefredakteur handelte, und das imponierte ihm. »Der kann schreiben und denken«, sagte er zu seiner Frau, und sie musste dann den Aufsatz ebenfalls lesen. Allerdings schien es Scholze, sie sei weniger beeindruckt als er, obwohl sie sonst immer vollkommen seiner Meinung war. Zumindest was die Situation in diesem Land betraf und die Dinge mit den Ausländern.
    »Ich bin kein Rassist«, sagte er zu seinen Freunden, für die er den Artikel ordentlich kopiert und in eine Klarsichthülle gesteckt hatte. »Ihr wisst das, und ich weiß, keiner von euch hat etwas gegen die guten Ausländer hier. Wir hauen niemand eine rein, wir heißen die Leute willkommen, sie sind unsere Gäste. Wir machen keinen Unterschied bei der Hautfarbe.«
    Wenn Scholze ins Reden kam, wunderte er sich manchmal über sich selbst. Seine Frau behauptete, er sei mundfaul, im Dienst redete er oft keine zehn Sätze. Wozu auch, ich bin kein Entertainer für meine Fahrgäste, für die paar Mark! In der Runde seiner Kameraden aber kam er regelmäßig in Schwung und es gefiel ihm, dass sie ihm zuhörten und ihm applaudierten. Obwohl er im Grunde keine Zustimmung brauchte, er war sowieso überzeugt davon, im Recht zu sein. Und gestern Abend, auf der

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