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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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außerordentlichen Zusammenkunft, hatte er ihnen diesen Artikel von Griefenhahn vorgelegt, den er seit drei Wochen wieder und wieder gelesen, geradezu studiert hatte und bei dem ihm schließlich klar geworden war, was der Autor – »Der Kerl hat Dynamit im Hirn«, sagte er zu seiner Frau Senta – mit der fehlenden Faust meinte. Nämlich das Ende des Handaufhaltens, das Ende des Handhinhaltens, das Ende des Handhochhaltens, wenn irgendwer einen dämlichen Freiwilligen suchte. Und er las den Schluss laut vor, obwohl jeder im Raum den Artikel vor sich liegen hatte: »Auch wenn wir es begrüßen, dass ein sozialdemokratischer Kanzler mehr nationalen Stolz zeigt als die meisten Christdemokraten im Bundestag, so dürfen wir uns nicht dem Irrglauben hingeben, starke Worte würden einen starken Staat machen. Unser Staat ist nicht schwach, doch er ist geschwächt, ausländische Interessen untergraben den Humus unserer Arbeit und zerstören die sozialen Grundlagen einer Gesellschaft, die sich bald aus eigener Kraft nicht mehr wird sanieren können. Unsere Abhängigkeit vom Ausland wird immer größer und die Regierung unterstützt diese Entwicklung. Der Kanzler sagt: ›Der Euro darf nicht der Preis für die deutsche Geschichte sein‹, und das ist richtig und gut. Aber dann knickt er in Brüssel ein und in Rom und in Paris und in Athen. Feigheit herrscht vor und wenn wir, die national bewussten Bürger Deutschlands, nichts dagegen unternehmen, werden wir eines Tages alle als Feiglinge dastehen und die EU-Bonzen und ausländischen Banditen lachen uns ins Gesicht. So weit darf es nicht kommen. Erheben wir uns, wir sind die Faust, die diesem Lande fehlt. Hören wir auf, Opferlämmer zu spielen, wehren wir uns, bevor wir wehrlos sind. Erlösen wir dieses Land aus seiner Agonie. Für immer.«
    Eine Weile blieb es vollkommen still im Nebenzimmer der Giesinger Gaststätte. Wie andächtig blickten die elf Männer und die eine Frau, die Scholze hergebeten hatte, auf den langen Tisch mit den vielen Gläsern. Nebenan unterhielten sich die übrigen Gäste. Der Wirt redete laut mit einem Mann am Tresen, durch die offene Eingangstür drangen Autogeräusche herein. Es war warm, mindestens fünfundzwanzig Grad, die Fenster waren gekippt und es duftete nach Gras und Blumen.
    Eine derartige Ergriffenheit hatte Scholze nicht erwartet. Er blickte in die Runde, trank einen langen Schluck Weißbier, strich das kopierte Blatt glatt, von dem er abgelesen hatte – das Original lag zu Hause im Aktenordner –, und stand auf.
    »Deswegen hab ich euch angerufen, weil was der Mann da schreibt, stimmt bis aufs Komma, und wir werden diesen Artikel in die Tat umsetzen. Worte sind das eine, Taten das andere.« Ein paar Sekunden ließ er diesen Satz in seinem Kopf nachklingen, schade, dass seine Frau nicht hier war, er hätte sie überreden sollen mitzukommen, schon öfter hatte sie zu ihm gesagt, er rede zwar nicht viel, aber was er sage, das habe fast immer Hand und Fuß. Und der Satz, den er soeben ausgesprochen hatte, der hatte Hand und Fuß, und das Beste daran war, er hatte ihn sich nicht ausgedacht gehabt, er war ihm einfach über die Lippen gesprungen und mitten hinein ins baffe Glotzen seiner Zuhörer.
    Scholze blickte in die Runde. Ronny, den er nicht kannte und den die Mayerin angeschleppt hatte, lief der Speichel aus dem Mund wie bei einem Kleinkind. Scholze wandte sich ab und winkte dem Wirt. Dann ging er auf die Toilette. Ein junges Paar kam ins Lokal, sah sich um, beide trugen Sandalen und weite Klamotten, und warf einen Blick in den Nebenraum, zu dem es keine Tür gab. Ronny grinste das Mädchen an. Das Paar verließ das Gasthaus wieder.
    »Traudi!« Ronny beugte sich zu Waltraud Mayer hinüber, der sechsundfünfzigjährigen Kassenprüferin der Münchner Ortsgruppe.
    »Was is, Schatz?«, fragte sie. Er war ungefähr fünfunddreißig Jahre jünger als sie und die beiden waren Giesings bekanntestes Liebespaar, zumindest in der St. Martinsklause, im Alt Giesing und im Brauneckstüberl.
    »Was isn des, a Agonie?«
    Waltraud legte den Arm um seine Schulter und berührte mit den Lippen sein Ohr. »Des is, wennst stirbst und des dauert.«
    Sie verpasste ihm einen Kuss.
    Ronny zog die Augenbrauen hoch. »Verstehe.« Er trank sein Helles aus und zündete sich eine HB an. Den restlichen Abend erklärte Norbert Scholze sein Konzept, das mit zwölf zu null Stimmen angenommen wurde. Zwar hatte ihr berühmter Vorsitzender Dr. Voss nicht an der

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