German Angst
Fälle, vor allem um die Wagner-Sache. Es dauert nicht mehr lange und wir haben diese Ilona so weit, dass sie auspackt.«
»Es deutet nichts darauf hin, dass Frau Horn freiwillig weggegangen ist«, sagte Süden. Nach den Strapazen der Nacht war er gereizt und verärgert über sich selbst, weil er es nicht geschafft hatte, einen konkreten Beweis für seinen Verdacht zu beschaffen, und er rechnete nicht damit, dass die Ergebnisse aus dem Labor ihm helfen würden.
»Wenn es keine Kampfspuren gibt«, sagte Weber und malte Kreise um ein Wort, das er auf seinen kleinen Block geschrieben hatte, »und wenn niemand etwas beobachtet hat, dann haben wir nicht viel in der Hand, Tabor.« Das Wort, das er dick umrandete, lautete: Blut.
»Bist du mit den Taxifahrern so weit durch?«, fragte Funkel. Freyas braune Kulleraugen blitzten hellwach hinter ihrer modischen Brille.
»Nein, also, ja, ja…« Sie blätterte in den Zetteln, die vor ihr lagen. Funkel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er mochte sie. So zerstreut und vom Chaos umtost sie auch wirkte, immer war sie konzentriert und neugierig und brachte die Leute mühelos zum Sprechen. Nur wenn sie frei reden musste, geriet sie unversehens in Verwirrrung.
»Die beiden Zentralen hab ich natürlich gefragt, und… die waren nicht in der Straße, das heißt, zwei Fahrer waren dort, also… Moment… in der Gutenbergstraße, aber nicht bei Horn… das können wir vergessen…«
»So wie die Krankenhäuser«, sagte Funkel.
»Ja«, sagte Florian Nolte, der diese Recherche übernommen hatte. »Natalia Horn ist nirgends eingeliefert worden, das hätt der schwarze Mann ja auch gewusst, schätz ich.«
»Welcher schwarze Mann?«, fragte Süden.
»Ihr Freund halt«, sagte Nolte und sah seinen Kollegen an, der seinen Blick mit dunkler Miene erwiderte. »Alles klar?«
Süden wandte sich ab. »Ich hab ihren Terminkalender mitgenommen, ich werde ein paar Leute anrufen und sie fragen, ob Natalia Horn ihnen etwas von einer Reise oder anderen Plänen erzählt hat.«
»Wir müssen uns um den Wagner-Fall kümmern«, sagte Thon.
»In zwei Stunden ist Pressekonferenz und die Journalisten werden uns löchern wegen der Geschichte.«
»Dann sag ihnen, dass wir Ilona Leblanc bald geknackt haben.« Süden schlug den Terminkalender mit dem schwarzen Ledereinband auf und las die Namen und Uhrzeiten, die Natalia eingetragen hatte.
Thon rieb an seinem Halstuch und roch an seinen Fingern. Es war ein friedlicher Morgen gewesen, zu Hause in der Küche, Claudine und Maximilian schienen gut gelaunt, obwohl sie sauer auf ihre Eltern waren, weil sie in diesem Jahr nicht ans Meer fuhren, jedenfalls nicht in den Sommerferien. Sie hatten gemeinsam gefrühstückt und Vera, seine Frau, hatte ihm eine kuriose Geschichte aus der Zeitung vorgelesen – in Amerika hatten Feuerameisen zwei alte Leute umgebracht –, und sie hatten sich zum Abschied geküsst, draußen schien die Sonne und er war beinah entspannt ins Dezernat gefahren. Und nun saß ihm Tabor Süden gegenüber, bei dessen Anblick er sich jeden Tag mehr fragte, wieso der Polizist geworden war und einen Beruf ergriffen hatte, der zumindest im gehobenen Dienst zwei Eigenschaften verlangte, ohne die man diesen Job nicht machen konnte: Man musste kommunikativ und teamfähig sein. Und beides traf auf Süden nicht zu, jedenfalls nicht seit Thon ihn kannte, und das waren inzwischen mehr als acht Jahre. Wobei die letzten zwei Jahre doppelt zählten, wenn Thon daran dachte, wie viel Dienstzeit er allein damit verbracht hatte, diesen einzelgängerischen, unberechenbaren Kollegen halbwegs einzubremsen und zur Vernunft zu bringen. Erfolglos, dachte er jetzt.
»Wir arbeiten alle gemeinsam am selben Fall!«, sagte er laut und zündete sich einen Zigarillo an. Wenn Sonja Feyerabend nicht anwesend war, ignorierte er das Rauchverbot. »Die Kollegen, die Ilona Leblanc überwachen, haben mir heute Morgen mitgeteilt, sie seien sich sicher, die Frau telefoniert heimlich mit Katharina Wagner. Und du selbst hast den Verdacht geäußert, nachdem du bei ihr in der Wohnung warst. Also lös die Kollegen ab und übernimm die Beschattung! Wann kommt Sonja wieder?«
»Heute nicht«, sagte Süden.
»Wie gehts ihr denn?«, fragte Funkel.
»Sie hat Fieber.«
Etwas im Terminkalender, den er betrachtete, erweckte Südens Aufmerksamkeit und grübelnd blickte er an seinen Kollegen vorbei. Thon drehte den Zigarillo in der Hand und schien kurz vor einem Wutausbruch.
Es klopfte.
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