German Angst
Mit zwei Schriftstücken kam Erika Haberl herein und gab sie Thon.
»Die Frau Sorek hat schon wieder angerufen«, sagte sie.
»Sie will eine Sondersendung direkt aus dem Hotel machen und sie möchte, dass Sie daran teilnehmen.«
»Kommt sie zur Pressekonferenz?«
»Ja, das hat sie ausdrücklich betont.«
»Danke, Frau Haberl.«
»Soll ich noch Kaffee machen?«
»Nein danke.«
Sie ging hinaus und schloss leise die Tür. Nicole Sorek war Chefreporterin beim TV-Magazin »Vor Ort« und ihre Spezialität waren spektakuläre Ereignisse im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit, egal, ob es sich um Mord, Rauschgift oder Entführung handelte. Hauptsache, es kam emotional was rüber, wie sie zu sagen pflegte und was Thon schon nicht mehr hören konnte.
Auf dem einen Blatt, das Erika Haberl ihm gebracht hatte, einem Fax, standen Kurzmeldungen des Landeskriminalamtes, auf dem anderen ein erstes Ergebnis der Spurensicherung im Haus von Natalia Horn.
»Was das Blut im Wohnzimmer betrifft«, sagte Thon, »die Kollegen gehen davon aus, dass es von Natalia Horn stammt, sie haben es mit Blut auf einem Wattebausch im Mülleimer verglichen. Die Reifenspuren haben sie noch nicht identifiziert, aber sie haben die Franse eines Schals oder dergleichen gefunden, neben der Haustür. Wie es bis jetzt aussieht, passt diese Franse zu keinem Stoffteil im Haus, sie könnte natürlich auch von einer Kundin stammen, also wird uns das wahrscheinlich nicht weiterbringen. Und definitiv keine Kampfspuren.«
Er reichte das Blatt an Funkel weiter.
»Aber jemand hat versucht, das Blut im Wohnzimmer unsichtbar zu machen«, sagte Weber und kritzelte das Wort »unsichtbar« aufs Papier.
»Das kann Frau Horn selber getan haben«, sagte Thon.
»Nein«, sagte Süden.
»Wieso nein?«, fragte Nolte. Er ließ Süden nicht aus den Augen.
»Wenn Natalia Horn sich schneidet und Blut tropft auf den Teppichboden, dann legt sie nicht eine Brücke drüber, sondern sie versucht, es wegzukriegen. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich weiß, dass nicht sie den Teppich da hingelegt hat. Und ihr Freund war es auch nicht, und ihre Tochter auch nicht. Ich hab mit beiden gesprochen. Also wer war es?«
»Vielleicht hat sie das Geld nicht, um den Teppichboden reinigen zu lassen«, sagte Funkel. Es war ihm bewusst, dass dies ein schwaches Argument war, aber die Entführungstheorie erschien ihm nach wie vor abenteuerlich, auch wenn er ein ungutes Gefühl hatte und Südens Intuition mehr vertraute, als Thon es tat.
»Wir warten noch einen Tag«, sagte Thon bestimmt und stand auf. »Gut, Tabor, wenn Sonja heute krank ist, dann nimmst du Freya mit. Noch Fragen?«
Nolte hob kurz die Hand, bevor er sprach. »Und wenn der Horn doch was zugestoßen ist? Sollten wir nicht wenigstens eine kleine Fahndung rausgeben? Die Presse wird mitkriegen, dass sie verschwunden ist. Solang das Mädchen im Knast sitzt, wirds immer einen Reporter geben, der von ihren Bekannten was wissen will.«
»Ich habe gesagt, wir warten noch ab, dabei bleibt es.« Thon verließ als Erster den Raum.
Florian Nolte verabschiedete sich von Freya und ging die Treppe hinunter. Er verließ das Dezernat, überquerte die Bayerstraße und verschwand im Hauptbahnhof. In der Halle sah er sich um, ging auf die Empore hinauf, von wo aus man auf die Gleise schauen konnte, und griff zu einem Telefonhörer. Vor der Brüstung befanden sich mehrere Apparate.
»Ich bins«, sagte Nolte und überblickte die Halle. Er behielt besonders den Südeingang, durch den er gekommen war, im Auge. »Alles ruhig, keine Maßnahmen, ein paar Wolken im Norden, aber sonst spaßiges Rätselraten, die Experten haben nichts genützt. Easy Action!« Damit hängte er ein.
»Easy Action! Was soll das heißen?« Scholze schüttelte den Kopf und schob seinem Gast den Teller mit den Schinkensemmeln hin, die seine Frau zurechtgemacht hatte. »Und die Wolken im Norden hab ich auch nicht verstanden, Sie?«
»Es gibt einen Kommissar mit dem Namen Süden.«
»Aha.«
»Er neigt dazu, eigene Wege zu gehen. Das muss nicht unsympathisch sein, aber in unserem Fall könnte es lästig werden.«
»Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee?« Norbert Scholze schenkte sich die Tasse bis zum Rand voll.
»Nein«, sagte Josef Rossi.
Sie saßen in Scholzes Wohnzimmer, das Telefon stand auf dem Tisch und die Schnur zog sich quer durch den Raum. Rossi schnäuzte sich, rieb sich mit dem weißen Stofftaschentuch heftig die Nase, betrachtete den Inhalt des Tuches,
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