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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sie.
    »Bitte?«
    »Ja«, sagte sie lauter.
    »Was hast du gehört?«
    »Sie… sägen mir einen Finger ab, wenn ich einen Ton sage.«
    »Und warum quatschst du dann die ganze Zeit?«
    Sie rechnete mit allem, sie rechnete damit, dass er die Säge holte und ihr einen Finger abschnitt, nachdem er sie wieder geknebelt hätte. Diesen Augen traute sie alles zu. Er hielt ihr das Glas hin. Sie griff danach.
    »Wie heißt das?«, fragte er.
    Sie zögerte, das grausame Dröhnen in ihrem Kopf und die fauchende Gegenwart des dürren Mannes zerstörten jeden klaren einfachen Gedanken. Sie hob ihre gefesselten Hände und wusste nicht, wohin mit ihnen, sie rechnete mit allem. Was sie spürte, waren Schmerzen, aus sämtlichen Poren quellende, in sämtliche Poren hineindrängende Schmerzen. Tränen stiegen ihr in die Augen, wieder sah sie nur Schemen, dabei gab es jetzt etwas Licht von dort hinten, wo die Tür war, durch die der Mann hereingekommen war. Mit ihren gefesselten Händen hatte sie auf ihren Kopf gezeigt, immer wieder, damit er verstand, was sie meinte, und er hatte verstanden, er war gegangen und später mit einem Glas Wasser und einer Tablette zurückgekommen. Er stand vor ihr, ganz nah, sie roch die abgetragenen Klamotten.
    »Du sollst mich ansehen!«, sagte er. Das tu ich doch, dachte sie, wie oft denn noch? Dann packte er ihren Kopf und drückte ihn gegen seinen Bauch. Er ließ nicht los. Sie spürte die Knöpfe der Hose, er drückte sie fest zwischen seine Beine und seine Hand umklammerte ihren Hinterkopf, die Finger bohrten sich in ihre Haut wie heiße Nadeln. In einem Getöse von Schmerzen vergaß sie für Momente, wo sie sich befand, und sie schloss die Augen und erwartete nichts mehr.
    »Trink endlich!« Der Mann hielt ihr das Glas und die Tablette hin. Sie kauerte auf dem Bett und hatte keine Ahnung, was in den vergangenen zehn Sekunden geschehen war. Gierig trank sie das Glas leer, nachdem sie die Tablette unbeholfen aus seinen zitternden Fingern genommen hatte.
    »Danke«, wagte sie zu sagen, »danke fürs Aspirin.« Sie versuchte sogar zu lächeln, aber es klappte nicht. Der Mann hielt ihr die flache Hand hin und wie selbstverständlich stellte sie das Glas darauf. Dann drehte er sich um.
    »Setzen!«, sagte er und ging zur Tür. Während Natalia noch überlegte, was er meinte, fiel die Tür zu und es war wieder dunkel.
    Mit den gefesselten Händen rieb Natalia über ihre Wangen, langsam und sehr lange, und sie stellte sich vor, die Sanftmut erobere ihren Körper zurück. Doch die Furcht gönnte ihr den Selbstbetrug nicht. Sie presste die Hände auf den Mund, um nicht zu schreien, lauthals loszuschreien.
    Der Staatsanwalt hatte um einen Termin gebeten und als er hereinkam, lagen sämtliche Unterlagen parat. Die beiden Männer gaben sich die Hand und setzten sich am rechteckigen Besuchertisch gegenüber.
    »Für mich nichts«, sagte Dr. Niklas Ronfeld und holte eine Klarsichtfolie, in der ein Din-A-4-Blatt steckte, aus seiner Aktentasche.
    Der Mann mit der Seidenfliege, der sich ein Glas Wasser einschenkte, hieß Roland Grote, einundfünfzig, SPD- Mitglied und seit zwei Jahren Leiter des Kreisverwaltungsreferats, das auch als Ausländerbehörde fungierte. Grote galt als liberal und umsichtig, als gewissenhafter Prüfer, wenn es um Abschiebungen ging. Mit dem SPD- Oberbürgermeister Ludwig Zehntner verband ihn eine langjährige Freundschaft, die auf politischer Ebene gelegentlich harten Bewährungsproben ausgesetzt war. Letzten Endes aber hatten sie sich beide in Sachen Karriereplanung innerhalb der Partei unterstützt und für den Fall, dass Zehntner einmal nicht mehr als Oberbürgermeister kandidieren würde, stand Grote bereit.
    »Ich hab heute Morgen noch mit ihm telefoniert«, sagte Grote.
    »Wir sind insofern einer Meinung, als dass wir beide, der OB und ich, den Verlauf der Anklage abwarten wollen, bevor wir eine weitere Entscheidung treffen.«
    »Sie meinen, ob Sie die Aufenthaltsgenehmigung verlängern«, sagte Ronfeld und warf einen Blick auf seine Aufzeichnungen.
    »Ja. Bekanntlich besitzt der Vater eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, er hat nie einen deutschen Pass beantragt, auch nicht als er verheiratet war. Sie sind beide, Vater und Tochter, keine deutschen Staatsbürger, Das ist ihr gutes Recht. Natürlich würde Herr Arano sofort die Staatsbürgerschaft bekommen, wenn er wollte. Er hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, er ist absolut integriert, ist ja auch klar, er lebt seit

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