Germania: Roman (German Edition)
Brille zumindest aus der Ferne nicht so schnell erkennen konnte.
Abgesehen von einigen Kindern, die lautstark zwischen der zum Trocknen aufgehängten Wäsche spielten, schien niemand auf dem Hof zu sein. Kurzentschlossen lief Oppenheimer über den Hinterhof und verschwand um die nächste Hausecke.
Vogler hörte seine eigenen Schritte durch den Korridor hallen. Ein ungutes Gefühl hatte ihn beschlichen, als er zum Reichssicherheitshauptamt gerufen wurde. Er hätte sich weniger Gedanken gemacht, wenn ihn sein unmittelbarer Vorgesetzter gerufen hätte, doch die Tatsache, dass er bei einem gewissen Oberführer Schröder antanzen sollte, war alles andere als ein gutes Zeichen. Man konnte Vogler manche Dinge vorwerfen, jedoch nicht, blauäugig zu sein. Schon bevor er diesem Mann begegnet war, wusste er, dass der Termin anberaumt worden war, damit er seine Zusammenarbeit mit Oppenheimer rechtfertigte.
In dem bürokratischen Apparat der SS war jeder damit beschäftigt, die Schwächen seiner Kameraden zum eigenen Vorteil auszunutzen. Auf Solidarität in den eigenen Reihen konnte man kaum hoffen. Als Vogler nach Berlin gekommen war, hatte er sich diesbezüglich keine Illusionen gemacht. Für jemanden in seiner Position war es das Wichtigste, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, wenn man nicht degradiert oder bei der Beförderung übergangen werden wollte.
Vogler klopfte an und betrat das Vorzimmer. »Heil Hitler! Hauptsturmführer Vogler für Oberführer Schröder.«
Der Mann hinter dem Schreibtisch blickte von den Papieren auf. »Heil Hitler. Bitte warten Sie.«
Der Sekretär erhob sich und betrat den angrenzenden Raum. Durch die schwere Eichenholztür drangen gedämpft Männerstimmen. Nach wenigen Sekunden erschien der Sekretär wieder. Noch bevor er Vogler hereinbitten konnte, rief in dem Zimmer eine herrische Stimme: »Treten Sie ein!«
»Hauptsturmführer Vogler, zu Befehl!«
»Setzen Sie sich«, befahl Schröder. Als er sich wieder seinen Schriftstücken zuwandte, zeigte er Vogler sein Profil, das von der Glatze und der schwarzen Augenklappe dominiert wurde. In den nächsten Sekunden kritzelte Schröder eifrig Notizen. Vogler erkannte sofort, dass er ihn nur auf die Folter spannen wollte.
Vogler betrachtete verstohlen den Raum. Holzvertäfelungen, wohin man auch sah. Zwei Photographien hingen an den Wänden. Beides waren unverfängliche Bildmotive – ein Porträt von Hitler und eines von Himmler. Sonst gab es keinerlei Anzeichen einer individuellen Note. Entweder war der Oberführer noch nicht lange hier einquartiert, oder er nutzte das Büro nur gelegentlich. Vogler überlegte, welches Bild er selbst wohl abgeben würde, wenn er hinter dem Schreibtisch säße.
Schließlich legte Schröder den Stift beiseite und wandte sich seinem Untergebenen zu. »Sie sind mit dem Fall Dufour betraut worden?«
»Jawohl, Herr Oberführer.«
»Sagen Sie mal, was habe ich da gehört? Obwohl der Täter in jüdischen Kreisen zu suchen ist, haben Sie sich ausgerechnet einen Itzig für die Aufklärung geholt?«
»Jawohl, Herr Oberführer.« Noch während Vogler antwortete, waren seine Gedanken bereits mit der Frage beschäftigt, wer ihn verraten hatte. Sicher steckte Hauptsturmführer Graeter dahinter. Schon zu Beginn der Untersuchung hatte sich gezeigt, dass Graeter eigene Vorstellungen davon hatte, wie man die zu führen hatte, und dass sich diese nicht mit Voglers Herangehensweise vertrugen. Doch Graeter war nicht zu seinem Vorgesetzten gegangen, um zu intrigieren, sondern er hatte sich gleich an ein hohes Tier wie Oberführer Schröder gewandt. Das musste man Graeter lassen, er verfügte über exzellente Beziehungen im SS-Apparat und hatte keine Skrupel, diese zu nutzen.
»Sagen Sie mal, sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, fragte der Oberführer mit hochrotem Kopf. »Ein Jude bei der Untersuchung? Ich hoffe, Sie haben eine Erklärung dafür parat, Vogler!«
»Ich hatte mich erkundigt, und es hieß, Oppenheimer sei der Beste für unsere Ermittlung. Außerdem verfügt er über ein beträchtliches Vorwissen.«
»Und dabei ist Ihnen das kleine Detail entgangen, dass er rassenfremd ist? Ich muss Sie daran erinnern, dass diese Untersuchung höchste Priorität besitzt. Ihr Verhalten kann ein kompromittierendes Licht auf uns werfen.«
»Soviel ich weiß, wurde sie als geheim eingestuft, also dürfte nichts darüber an die Öffentlichkeit gelangen.«
»Falls doch etwas durchsickert, sitzen Sie in der
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