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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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war es ebenso wahrscheinlich, dass er auch seine Opfer bewusst ausgesucht hatte. Doch wo waren die Gemeinsamkeiten der drei Frauen? Oppenheimer stand wieder vor der Frage, die ihn schon die ganze Woche über beschäftigt hatte.
    Es dämmerte bereits. Oppenheimer spürte, wie sich die Müdigkeit in ihm ausbreitete. Und zu allem Überfluss waren auch noch all seine Pervitin-Tabletten aufgebraucht. Gerade jetzt hätte er einen Energieschub bitter nötig gehabt. Schließlich schüttelte er den Kopf. Nein, es war Zeit, nach Hause zu fahren. Er musste sich um Lisa kümmern.

    Als Oppenheimer ins Judenhaus zurückkehrte, war Lisa immer noch nicht da. Er schaffte es gerade noch, in sein Zimmer zu taumeln und den Mantel auszuziehen, bevor er auf das Bett fiel und auf der Stelle einschlief.
    Schluchzen weckte ihn. Oppenheimer spürte, wie sich Arme um ihn legten. Wie durch einen Nebel sah er Lisas Gesicht und erklärte schlaftrunken, dass er verschüttet gewesen war. Noch ehe er dazu kam, seine Angaben zu präzisieren, fiel er wieder in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Als schließlich der Hunger Oppenheimer aus dem Bett trieb, schien die Sonne durch das Fenster. Lisa lag schlafend neben ihm. Er küsste sie auf die Wange. Ein behutsamer Kuss, um sie nicht aufzuwecken. Dann stand Oppenheimer auf und trottete in die Küche. In einem Topf fand er gekochte Möhren. Unwillkürlich musste er an das Polizeiphoto denken, das Julie Dufours Leiche auf einem Polster aus Karottenblättern zeigte. Doch sein Appetit wurde durch diese Überlegungen in keinster Weise beeinträchtigt. Hinter sich spürte Oppenheimer eine Bewegung, dann umarmte Lisa ihn.
    Oppenheimer brachte zunächst nicht viel mehr zustande, als zu schlucken und seine Hände auf die ihren zu legen.
    »Ist doch nichts passiert«, sagte er. »Habe ich etwas verpasst?«
    Lisa fasste sich wieder und antwortete mit stockender Stimme: »Nicht viel. Der alte Schlesinger hat das Fensterglas auswechseln lassen. Du hast mir gestern gesagt, dass du verschüttet warst. Wo bist du gewesen?«
    Zunächst wollte Oppenheimer nur in kurzen Worten erklären, was geschehen war. Doch die Aussprache wurde länger als geplant, da er glaubte, dass Lisa nach diesen Tagen des Bangens ein Anrecht darauf hatte zu wissen, worum es sich bei der Untersuchung handelte. Bislang hatte er es unterlassen, ihr die Details zu schildern, weil die Angelegenheit äußerst heikel und zudem als Geheimsache eingestuft war. In den frühen Jahren ihrer Ehe war es ein großes Problem gewesen, dass er Lisa vor dem beschützen wollte, was er bei seiner täglichen Arbeit erlebte. Doch bald hatte Oppenheimer bemerkt, dass ihr Zusammenleben durch diese Heimlichtuerei belastet wurde. Also hatten sie mit der Zeit damit begonnen, über die unschönen Geschehnisse zu sprechen, die ihn beschäftigten.
    Lisa nahm die Neuigkeit, dass Oppenheimer hinter einem Geistesgestörten herjagte, ruhig auf. Er ahnte, dass sie in den Jahren ihres Zusammenlebens akzeptiert hatte, ihren Mann wohl oder übel mit Verbrechern und Ganoven teilen zu müssen. Dennoch schüttelte sie jetzt den Kopf. »Du solltest damit aufhören, du gehst unnötige Risiken ein.«
    »Ich habe keine Wahl«, antwortete er. »Die SS hat mich in der Hand. Solange ich nach ihren Vorstellungen funktioniere, sind wir sicher. Vielleicht können wir es zu unserem Vorteil nutzen.«
    »Haben die keinen anderen dafür?«
    »Die meisten meiner Kollegen sind an der Front oder gefallen.«
    »Das sind nicht mehr deine Kollegen. Du bist nicht mehr im Dienst.«
    »Du weißt, wie ich das meine. Ich muss gleich zu Hilde, wegen der Untersuchung. Dann komme ich sofort wieder zurück. Willst du morgen mit mir nach Marienfelde fahren?« Möglicherweise war es unromantisch, seine Herzensdame zur Besichtigung eines Leichenfundortes mitzunehmen, doch nach der Todesfurcht im Keller der Villa wollte er Lisa bei sich wissen.

    »Das Opferlamm hat Sympathie für seinen Schlächter. Hat man so was schon gehört?« Das war mal wieder typisch Hilde. Oppenheimer hatte seine Vermutung angedeutet, dass Vogler sich vielleicht von den übrigen Nationalsozialisten unterschied. In den Stunden, während sie beide verschüttet waren, glaubte er, einen anderen Vogler kennengelernt zu haben, einen Menschen, der möglicherweise sogar das Potenzial zum Guten in sich trug. Auf eine gewisse Art und Weise, die Oppenheimer nicht genau definieren konnte, spürte er, dass irgendetwas Neues sie beide nach diesen Stunden im

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