Germania: Roman (German Edition)
Keller verband.
Hilde wollte natürlich nichts davon wissen. Fast bereute es Oppenheimer, seine Gedanken bezüglich Vogler erwähnt zu haben.
»Nein, Arschgesicht bleibt Arschgesicht«, erklärte sie und kippte einen Klaren. »Pass ja auf, dass er dich nicht beeinflusst. Das ist das typische Muster. Erst das Vertrauen gewinnen, um dann manipulieren zu können.«
»Was soll er schon manipulieren.« Oppenheimer machte eine abwehrende Geste. »Bei einer Untersuchung sprechen die Fakten für sich selbst.«
»Und wenn er dich dazu verleiten will, in eine bestimmte Richtung zu ermitteln?«
»Was sollte er davon haben? Er geht ihm genauso darum, den Mörder zu fassen, wie mir.«
»Vogler ist ein Opportunist wie alle in der Partei. Er wird nur das tun, was ihm den größten Vorteil bringt. Bei einer geheimen Untersuchung dreht es sich immer auch um Politik.«
»Du siehst Gespenster. Der Fall ist nur deshalb als geheim eingestuft worden, weil dieser Reithermann Beziehungen hat. Mehr steckt nicht dahinter.«
»Hoffentlich behältst du recht. Leider haben meine Befürchtungen in der letzten Zeit die schlechte Angewohnheit, sich als wahr zu erweisen.«
»Sag mir lieber, was du von meiner Schlussfolgerung hältst, dass die Taten lange im Voraus geplant waren.«
»Klingt so weit alles logisch. In Marienfelde bist du noch nicht gewesen?«
»Leider nein. Morgen früh werde ich das als Erstes erledigen.«
»Es würde mich wundern, wenn es dort anders wäre. Allein schon die Tatsache, dass niemand den Mörder gesehen hat, spricht dafür, dass er wahrscheinlich wusste, was er tat. Ist dir noch etwas anderes aufgefallen?«
»Hm … die Frauenleichen wurden alle vor Gedenksteinen gefunden. Sie haben etwas gemeinsam.«
»Der Erste Weltkrieg«, vollendete Hilde den Gedankengang. »Immer wieder taucht er auf. Unser Täter hat die Frauen vor diese Denkmäler gelegt wie vor einen Opferaltar. Vielleicht ist Rache das Motiv. Doch wofür? Seine Opfer lebten noch nicht, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Trotzdem würde es mich nicht wundern, wenn der Täter etwas mit Anno Scheiße zu tun hätte.«
»Das könnte nur bedeuten, dass er selbst gekämpft hat. Wenn das zutrifft, müsste er älter als vierzig Jahre sein.«
»Ja«, sagte Hilde und starrte ins Leere.
Oppenheimer wechselte die Schallplatte. Im Nachhinein bedauerte er, die Scheiben aus dem Keller nicht mitgenommen zu haben. Er hatte keine Ahnung, wann es wieder eine Gelegenheit geben würde, Ausschnitte aus der Dreigroschenoper zu hören. Stattdessen legte er jetzt die erstbeste Schallplatte auf, die er aus seiner Sammlung herausgezogen hatte.
»Na, das ist doch schon etwas«, sagte Hilde. »Endlich wissen wir mehr vom Täter. Die Frage ist natürlich, warum er ausgerechnet jetzt damit anfängt, Frauen zu ermorden. Er ist nicht mehr der Jüngste. Ich schätze, es spricht einiges dafür, dass es ein langer Prozess war, bis unser Mörder zu dem Wesen wurde, das diese Taten begeht.«
»Wir müssen auf jeden Fall nachprüfen, ob es früher ähnliche Fälle gegeben hat«, sagte Oppenheimer. »Aber ich fürchte, da wird man nicht viel finden.«
»Es muss schon vorher Anzeichen für den sadistischen Trieb des Mörders gegeben haben. Meistens wird so etwas nur nicht in den richtigen Zusammenhang gebracht.«
»Ich weiß. Ich wüsste zu gerne, was im Gehirn des Täters vor sich geht.«
Hilde schnaubte verächtlich. »Das werden wir nie erfahren. Wenn Vogler ihn in die Finger kriegt, werden die Herren Doktoren damit zufrieden sein, seinen Kopf zu vermessen. Ich frage mich, warum alle so versessen darauf sind, den Charakter eines Menschen von seinem Aussehen abzuleiten.«
»Und mich würde interessieren, wie die Resultate aussehen würden, wenn man mal die Köpfe unserer Nazi-Elite vermisst.«
Hilde musste über diese Idee schmunzeln. »Am Ende kommt dabei heraus, dass Rudolf Heß nur deshalb nach England getürmt ist, weil er einen Schädel wie Frankensteins Monster hat.«
Oppenheimer lachte laut. Dass Heß, der Stellvertreter Hitlers, vor drei Jahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einer Messerschmitt nach Schottland geflogen war, hatte Goebbels’ Propaganda-Maschinerie auf dem falschen Fuß erwischt. Man konnte sich nicht erklären, warum ein ranghoher Nazi dem Feind einen Besuch abstatten wollte. Das Volk hatte eifrig spekuliert, was hinter dieser Aktion wohl stecken mochte, es wurden gar Vermutungen laut, dass er einen Sonderfrieden mit England in die Wege leiten
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