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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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hereinkommen hören. Draußen ist Nacht.
    Ich liege auf dem Boden. Ich kann mich nicht erinnern, mich hingelegt zu haben.
    Manchmal schaltet sich der Körper einfach aus. Wie die Notsicherung im Atelier, wenn man zu viele Scheinwerfer anschließt. Klick , und es ist dunkel. Ohne Vorwarnung. Ich habe das schon zweimal erlebt.
    Einmal im Schützengraben. Beim allerersten Trommelfeuer. Es war gar nicht auf uns zentriert. Ein paar Wochen später hätten wir deswegen nicht einmal den Kopf eingezogen. Aber damals hatten wir noch nicht gelernt, aus dem Heulen einer Granate ihre Flugbahn herauszuhören. Nahmen die Explosionen und die Einschläge noch persönlich. Manche haben gebetet, und andere haben geweint. Einer hat sich die Hosen vollgeschissen. Wir wären davongelaufen, wenn man in einem Schützengraben davonlaufen könnte. Ich dachte nur noch daran, dass ich kein Testament geschrieben hatte. Nicht bestimmt hatte, wer meine goldene Taschenuhr bekommen sollte. Das schien mir in diesem Moment das Wichtigste auf der Welt. Ich habe auf meinen Nebenmann eingeredet, er müsse unbedingt dafür sorgen, dass Kalle …
    Und dann lag ich da. Im dreckigen Wasser auf dem festgestampften Boden. Es passierte so plötzlich, dass die andern zuerst dachten, ich sei getroffen worden. Aber ich war nur ausgeknipst.
    Kurzschluss.
    Das zweite Mal, das war bei den Proben zum Roten Faden . Ich drehte damals den ganzen Tag bei der Ufa, stand abends bei Saltenburg auf der Bühne und arbeitete nachts noch an dieser Revue. Mit rasenden Rückenschmerzen. Ich hätte zum Doktor gehen und mir eine Spritze geben lassen müssen, aber der hätte mir nur Bettruhe verordnet. So kurz vor der Premiere konnte ich keine Probe ausfallen lassen. Die Requisite stellte mir einen Tisch in den Zuschauerraum, ich legte mich drauf und inszenierte weiter. Bis es Klick machte.
    Ich wachte erst wieder auf, als der Inspizient fragte: «WollenSie hier schlafen, Herr Gerron, oder soll ich Ihnen eine Taxe rufen?»
    Einmal aus Panik und einmal aus Erschöpfung. Heute ist wohl beides zusammengekommen.
    «Geh schlafen», sagt Olga.
    Ich fürchte mich davor. Das war bei mir schon immer so. Seit meiner Verwundung schon immer. Ich bin gar nicht so fleißig, wie die Leute meinen. Ich habe Angst. Angst davor, dass ich einschlafe und meine Gedanken weiterlaufen. Ohne dass ich sie beherrschen kann. Angst davor, dass mein Kopf mit mir macht, was er will. Angst vor den Gespenstern.
    Ich bin das Nachtgespenst. Mein erfolgreichstes Lied. Auch aus dem Roten Faden. Jede Menge Schallplatten haben wir davon verkauft.
    Ich bin das Nachtgespenst, dein süßes Nachtgespenst, ich weck dich, wenn du pennst, so oft, bis du mich Liebling nennst.
    «Es scheint dir besser zu gehen», sagt Olga. «Du kannst schon wieder singen.»
    Ich sollte dieses Lied in den Film einbauen. Den Refrain. Ich singe, und im Gegenschnitt jubeln die Zuschauer. Damit die Leute im Kino sehen, wie prächtig man sich in Theresienstadt amüsiert.
    Heiho, heiho, wir sind vergnügt und froh.
    Man könnte verhungerte alte Leute ins Publikum setzen. Sie im Krematorium einsammeln und noch einmal nützlich machen, bevor man sie verbrennt. Den Leichen Fäden anbinden und sie im Takt klatschen lassen. Schunkeln. Man könnte …
    «Geh schlafen», sagt Olga.
     
    Ich höre sie atmen und beneide sie um den Schlaf. Mein Kopf gibt keine Ruhe.
    Gedanken sind Hunde. Wenn man sie von der Leine lässt, rennen sie dahin, wo es nach Blut riecht.
    In Amsterdam, als die Leute anfingen sich zu verstecken, hat einer von der SS seinen Hund darauf abgerichtet, dass er …
    Nein.
    «Man soll vor dem Einschlafen an schöne Dinge denken», hat Mama immer gesagt. An angenehme Dinge.
    Eine Liste all der Momente aufstellen, in denen man wirklich glücklich war. Ein Spiel daraus machen. Eine Reihenfolge festlegen. Der glücklichste Moment. Der noch glücklichere. Der allerallerglücklichste. Sich darauf konzentrieren. Die Gedanken nicht Reißaus nehmen lassen.
    Es gibt hier in Theresienstadt einen Mann, den alle nur den falschen Rabbi nennen. Der vernünftigste Verrückte, der mir je begegnet ist. Der verrückteste Vernünftige. Ist früher mal Biologe gewesen. Hat die Wahrheit unter dem Mikroskop gesucht. Aber die Vernunft, zu dem Schluss ist er als konsequenter Wissenschaftler gekommen, hat versagt. Also probiert er es jetzt mit der Religion. Eine neue Versuchsanordnung. Trägt immer ein Leintuch um die Schultern, weil er keinen Gebetsmantel hat auftreiben

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