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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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vor sich hatte. Es war also nur logisch, dass sie bei der Terra auf den Gedanken kamen, einen Film mit ihm zu drehen. Nach dem Motto: Boxen ist gut, Liebe ist gut – wie gut muss erst Boxen mit Liebe sein! Auch dort hatten sie ihre Alemänner, und so war eine passende Geschichte bald gefunden. Aus alten Versatzstücken zusammengeschraubt. Junger talentierter Boxer wird durch allzufrühen Erfolg verführt, verlässt beinahe seine Jugendliebe, findet aber im entscheidenden Kampf wieder zur alten Treue und damit zum Sieg zurück. Happy End, langer Kuss, und süßer die Kassen nie klingeln. Liebe im Ring hieß die Schnulze. Der Schmeling war natürlich der naive Held Eisenfaust. Ich spielte den geldgierigen Manager.
    Das Ganze war als Stummfilm geplant und wurde auch so gedreht. Aber 1930 waren die Zuschauer plötzlich ganz wild auf die neumodischen Tonfilme. Also wurde nachträglich ein bisschen Text eingebaut. Und das grauenhafteste Lied, das ich je aufgenommen habe. Allein konnte man den Max nicht singen lassen, davon versteht er so viel wie ich vom Spitzenklöppeln. Er hat dann immerhin den Refrain rezitiert, und das ist eine sehr höfliche Formulierung. Das Herz eines Boxers kennt nur eine Liebe: den Kampf um den Sieg ganz allein . Vor dem Mikrophon machte der Max ein so unglückliches Gesicht – ich glaube, er hätte sich lieber dreimal freiwillig k.o. schlagen lassen.
    Was im Film ursprünglich auch vorkam. Es gab da eine Szene, wo der Held wegen seines Techtelmechtels das Training vernachläßigt und deshalb einen wichtigen Kampf verliert. Gegen einen Boxer, der einen Kopf größer ist als er und mit Muskeln bepackt wie ein Gorilla. Korbinian.
    In meiner Rolle hatte ich während der ganzen Szene am Ring zu sitzen, in einer Horde auf Stichwort jubelnder oder verzweifelnder Statisten. So habe ich das Elend aus nächster Nähe miterlebt. Dass Korbinian mit seinem freundlichen Bauernbubengesicht nicht richtig bedrohlich aussah, war nicht weiter schlimm. Schünzel, der Regie führte, nahm ihn einfach von hinten auf, so dass man nur die Muskelpakete sah und über seine Schulter Schmelings erschrockenes Gesicht.
    Das Problem war ein anderes. Der entscheidende Punkt der Szene war dieser eine Treffer, mit dem Max auf die Matte geschickt werden sollte. Aber der Korbinian traute sich einfach nicht, richtig ranzugehen. Hatte zu viel Respekt vor Schmeling. Vielleicht hatte er Angst, dass der zurückschlagen würde. Was auch immer der Grundwar, er tupfte ihn jedes Mal nur an, und wenn der Max daraufhin gemäß Regieanweisung umkippte, sah das nur doof aus.
    Dem Schünzel kam sein Drehplan durcheinander, und er fing an zu schreien. Was den Korbinian noch ängstlicher machte. Den Statisten, die jedes Mal erschrocken aufzuspringen hatten, wenn der Max zu Boden ging, taten schon die Beine weh.
    Schmeling selber blieb überraschend ruhig. Im Atelier, das fand ich toll, war er ein absoluter Profi. Ließ sich vom Kameramann erklären, in welchem Moment sein Gesicht nicht im Bild war. Immer dann fauchte er den Korbinian an: «Los, schlag zu, nun schlag schon, du Idiot.» Schließlich war etwas im Kasten, was man mit kunstvollem Zusammenstückeln einigermaßen brauchen konnte – und dann flog die ganze Sequenz aus dem Film raus. Der Schmeling hatte sich nämlich einen amerikanischen Agenten zugelegt, den Joe Jacobs, und der wollte seinen Schützling auf keinen Fall besiegt sehen. Nicht mal auf der Leinwand. «Wie sieht das denn aus, jetzt, wo der Mäx um die Weltmeisterschaft kämpfen soll?» Er sagte immer «Mäx» statt «Max». Weil die Terra den Film unbedingt auch in den USA rausbringen wollte, wurde die Handlung umgeschrieben.
    So verpasste der Korbinian die letzte Chance, sich einen Namen zu machen. Vielleicht wenn er sich in seinem Wohnzimmer einen gerahmten Film-Kurier hätte an die Wand hängen können, wo neben Schmeling und Tschechowa und Gerron auch sein Name drinstand, vielleicht wenn er seinen Leuten hätte erzählen können, als Boxer sei er ja möglicherweise nicht der ganz große Renner gewesen, aber dafür habe er beim Film Karriere gemacht, vielleicht wäre er dann zufrieden in sein bayerisches Kuhdorf zurückgekehrt und hätte den Rest seines Lebens ganz zufrieden Bierfässer auf Lieferwagen gewuchtet. Weil das aber nicht so war, weil man ihn schon wieder ausgelacht hatte, ging er einen anderen Weg. Jeder kleine Korbinian will auch einmal groß sein.
     
    «Geh schlafen», sagt Olga. Ich habe sie nicht

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