Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
Vom Netzwerk:
Romantisches Kopfsteinpflaster, jederStein frisch geschrubbt. Alt-Heidelberg. Auch die Häuser wie von Postkarten abgemalt. Schnörkelgiebel und Erker. Hinter jedem Dachfensterchen ein armer Poet.
    Die Straße völlig leer. Nur für mich bestimmt, für mich ganz allein. Zu breit und zu lang für Poelcapelle. Endlos. Mit jedem Schritt, den ich tue, schieben sich neue Gebäude ins Bild.
    Ich gehe weiter und weiter und weiß, ganz ohne Überraschung, dass die Straße nur eine Filmkulisse ist, Fassade an künstlicher Fassade. Die Steine keine Steine, die Riegel keine Holzbalken. Alles nur bemalte Pappe, sorgsam verstrebt. Man darf nicht dahinterschauen, das ist gegen die Regel, man darf nur sehen, was auch die Kamera sieht. In meinem Traum weiß ich das, und es erscheint mir ganz selbstverständlich. Beruhigend. So muss es sein.
    Ich gehe an der Häuserfront entlang und verschränke die Arme vor der Brust. Wie man sich das angewöhnt im Atelier, um nicht ungewollt mit einem schlenkernden Arm über frische Farbe zu streifen.
    Die Türen sind nicht aus Pappe, fällt mir auf, sie sind massiv gebaut. Was bedeutet, dass sie gleich aufgehen werden. Man baut nur richtige Türen, wenn das Drehbuch es verlangt. Auch Namensschilder hat die Requisite angeschraubt. Eine fremde Schrift, die ich nicht lesen kann. Klingelzüge, jedes Glöckchen auf einen anderen Ton gestimmt. Bimmel, bammel, bimmel, bammel. Ich muss nicht klingeln. Ich muss vor einer Tür nur stehen bleiben, schon geht sie auf, und Leute kommen heraus, immer gleich mehrere, ganze Belegschaften und Familien. Federgeschmückte Barette. Reifröcke, die breiter sind als der Türrahmen und doch nicht stecken bleiben. Aber vielleicht schreibe ich da meinen Traum schon wieder um, bin schon bei der nächsten Drehbuchfassung, noch opulenter, noch publikumsfreundlicher. Das dürfen Sie nicht verpassen, das müssen Sie gesehen haben.
    Vielleicht führe ich schon wieder Regie.
    Ich stelle eine Frage, immer dieselbe, und sie antworten mit hochgezogenen Schultern, mit jüdisch vorgestreckten leeren Handflächen. Ich frage: «Wo, bitte, ist das Atelier, in dem ich erwartetwerde?», und sie antworten: «Wir wissen es nicht. Nicht hier. Nicht hier.»
    Sie bleiben geduldig, freundlich, auch wenn ich immer drängender frage, immer ungeduldiger, immer mehr in Panik. Denn da gibt es einen Film, der gedreht werden muss, einen ganz wichtigen Film, ich bin der Regisseur, ohne mich können sie nicht anfangen, und ich bin am falschen Ort, egal, in welchem Haus ich nachfrage, ich muss das Atelier finden und weiß, dass ich es nicht finden werde, dass es gar kein Atelier gibt, und auch daran bin ich schuld, und auch dafür werde ich bestraft werden.
    Für meinen Film.
     
    Die Jahre bei der Ufa waren meine glücklichste Zeit.
    Wer wie ich immer zwei linke Hände gehabt hat, ein Glumskopp gewesen ist von Geburt an, für den gibt es kein schöneres Gefühl, als wenn ihm für einmal eine schwierige Sache ganz leichtfällt. Wenn alles zusammenkommt, scheinbar ohne Anstrengung. Regisseur sein, das war für mich von Anfang an, wie wenn man in ein vertrautes Kleidungsstück schlüpft, das einem passt wie kein anderes. Das man jeden Tag anziehen möchte.
    Ich werde es wieder anziehen. Ich kann dem Angebot nicht widerstehen. Weil es mir noch einmal erlaubt, das zu tun, was ich am besten kann. Weil es mein Leben ist. Mein Beruf. Das, worauf ich mich, ohne es zu wissen, immer schon vorbereitet hatte.
    Inszeniert habe ich immer. Es ist mir wohl angeboren. Es fing mit dem Schaukelpferd an, bei dem ich strampelnd und schreiend darum kämpfte, dass es der Welt nur seine richtige, die publikumswirksame Seite präsentieren durfte. Ich machte auch nichts anderes, wenn ich zusammen mit Kalle Troja eroberte oder einen neuen Planeten entdeckte. Ich führte Regie, als ich mich selber als Kriegshelden inszenierte, weil Papa mich so haben wollte. Als Frauenverführer, um die Auswirkungen meiner Verwundung unsichtbar zu machen. Und bin damals vor Lore Heimbolds Küssen mit dem Schrecken eines Puppenspielers geflohen, dessen Marionette sichvon allein bewegt. Selbst wenn ich auf der Bühne stand, habe ich mich permanent inszeniert. Nicht in der Rolle, die der Stücktext für mich vorsah, sondern in der des Schauspielers. Stand die ganze Zeit als mein eigener Regisseur neben mir. Ich habe den Mimen immer nur gemimt.
    Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich als Schauspieler nie ein wirklich Großer geworden bin.

Weitere Kostenlose Bücher