Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Fragen?»
Nein, Herr Judenältester Dr. Eppstein. Keine Fragen mehr.
Mein letzter deutscher Film war also doch nicht der letzte. Wegen großer Nachfrage verlängert.
Elf Jahre ist das jetzt her. Ein bisschen mehr als elf Jahre. Am 1. April 1933.
Der Film, den wir damals gedreht haben, war so unwichtig wie alle andern auch. Eine dieser verschachtelten Liebesgeschichten, an der immer noch ein Autor herumgeflickt hatte und noch einer, mit immer noch komplizierteren Ideen, wie man das Happy End, das doch von Anfang an klar war, noch ein bisschen herauszögernkonnte. Nichts Besonderes. Ein Hund spielte mit und war nicht so gut dressiert, wie man es mir versprochen hatte. Die beiden Hauptdarsteller hatten eine wilde Affäre miteinander. Das Übliche.
Die Nazis waren schon seit zwei Monaten an der Macht, aber ich hatte mich nicht weiter darum gekümmert. Wer einen Film vorbereitet, hat keine Zeit für Politik. Wir waren auch alle überzeugt, dass Hitler als Reichskanzler nur ein Zwischenspiel sein würde. Eine komische Einlage, bevor es mit einer ernsthafteren Besetzung wieder weiterging. «Mit einem solchen Schnurrbart kann man kein Land regieren», sagten wir.
Nur über den Abend im Kaiserhof wurde diskutiert. Nicht wegen dem Goebbels seiner Rede, sondern weil alle unsere großen Herren dabeigewesen waren. Die ganzen Direktoren der Filmgesellschaften. Mit dem Hugenberg an der Spitze. Der frischgebackene Minister hatte ihnen, so munkelte man, an dem Abend erklärt, welche Filme das Publikum sehen wolle und welche nicht. Worüber wir natürlich nur spotteten. «Wenn der Goebbels das wirklich wüsste», sagten wir, «müsste er nicht Minister sein, sondern könnte beim Film richtiges Geld verdienen.» Einer seiner Sätze wurde besonders höhnisch zitiert: «Der Publikumsgeschmack ist nicht so, wie er sich im Inneren eines jüdischen Regisseurs abspielt.» «Du musst ein arischer Fehltritt deiner Mutter sein», sagte Otto Wallburg zu mir. «Bis jetzt waren alle deine Filme Kassenfüller.»
Wir haben nichts begriffen.
Bis zu jenem 1. April.
Wir drehten an dem Samstag nicht draußen in Babelsberg, sondern im Spiegelsaal vom Ballhaus Bühler, ein paar Schritte vom Oranienburger Tor. Eine Szene mit Tischtelefonen und neckischer Flirterei. Ich wollte die Atmosphäre des Raumes zeigen – wenn man schon für so einen schicken Drehort Miete zahlt, muss man im Film auch etwas davon sehen –, aber mit dem langsamen Schwenk, den ich eingeplant hatte, ging dauernd etwas schief. Ein Tongalgen war im Bild, oder die Kamera ruckelte. Als dann endlich technisch alles klappte, waren den Statisten die Wiederholungen zuviel geworden.Statt die angeordnete Champagnerlaune zu versprühen, hingen sie in ihren Stühlen wie nasse Säcke.
Es war damals die Zeit, wo man sich Massenszenen leisten konnte. Die Arbeitslosigkeit machte die Komparserie billig. Man kriegte Typen, die sich früher nie gemeldet hätten. Bessere Bürger, die kein Geld mehr hatten, aber doch noch mithalten konnten, wenn Abendgarderobe verlangt war. Einmal bewarb sich sogar der alte Professor Waldeyer, der uns damals im Einführungskurs Anatomie den menschlichen Körper als Meisterwerk der Natur gepriesen hatte. Die Inflation hatte ihm wohl seine Pension weggefressen. Ich habe getan, als ob ich ihn nicht kennen würde, und ihn ganz hinten hingestellt. Wo es nicht so drauf ankam, wie er aussah und wie er sich bewegte.
Damals, am 1. April, drehten wir diese Spiegelsaal-Szene und waren mit dem Drehplan im Rückstand. Was mir selten passierte. Ich bin für meine Pünktlichkeit bekannt. Immer mit genügend Reserve und immer gut vorbereitet. Das Drehbuch im Kopf. «Auf den Gerron kann man sich verlassen», sagte man bei der Ufa. «Der liefert, was bestellt ist. Da gibt es keine unangenehmen Überraschungen.» Darum kriegte ich auch immer wieder den nächsten Film.
Sogar in Theresienstadt.
Wir drehten diese Spiegelsaal-Szene und hatten den Schwenk endlich im Kasten. Das nächste war ein Zweier mit Magda Schneider und dieser andern, die ihre Freundin spielte, die mit den kurzen braunen Haaren. Ich komm nicht auf den Namen.
Egal.
Das Tischtelefon sollte klingeln, Magda sollte abnehmen, ihrer Freundin zunicken und sich dann umsehen, um herauszufinden, wer da anrief. Nichts Kompliziertes. Aber die Magda spielte das viel zu dick. Als hätte ihre Figur das Drehbuch gelesen und wüsste schon, dass ihre spätere große Liebe am Apparat war. So mit «Ei, ei, ei, wer ruft denn
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