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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Erinnere mich an Rollen, an Premierenfeiern, an die Freude über gute Kritiken.
    Ich bin so ein Idiot.
    Sie hatten alles vorbereitet für ihren Film. Die Heldenrollen für sich reserviert und uns nur die Schurken übriggelassen. Das Drehbuch geschrieben. Mein Kampf . Ein idiotischer Titel. Wie für die Erinnerungen von Max Schmeling. Aber mit der richtigen Werbung kann man den Leuten jeden Scheiß verkaufen.
    Wir haben das Drehbuch nicht gelesen. Wir hielten anderes für wichtiger. Die erste Filmregie! Eine Rolle bei Max Reinhardt! Schaut alle her, wie schön ich meine Wohnung dekoriert habe! Und dabei brennt das Haus.
    Als ich ein kleiner Junge war, stand einmal im Jahr ein Kasperletheater bei uns im Hof. Vielleicht kam es öfter, aber in meiner Erinnerung ist kein anderer Rhythmus möglich. Weihnachten ist nicht jeden Monat. Damals habe ich mir fest vorgenommen, auch einmal Kasperlespieler zu werden. Der schönste Beruf, den ich mir vorstellen konnte. Ich bin es dann ja auch geworden, nur leider in der falschen Sorte Theater. Beim echten Kasperle kann man die Bühne einfach zusammenklappen und auf den Rücken laden, das Ensemble in einen Sack stopfen und mitnehmen. Ist man in einem Land nicht mehr gewollt, stellt man sein Theaterchen eben im nächsten auf. Oder im übernächsten. Und wenn man dort die Sprache nicht richtig kann und mit einem lächerlichen Akzent spricht, jubeln die Zuschauer umso mehr.
    Am besten hat mir immer die Szene gefallen, wo das böse Krokodil hinter der Großmutter her ist. Wir haben dann alle geschrien: «Pass auf! Das Krokodil! Das Krokodil!» Aber die Großmutter, dieser Holzkopf, war schwerhörig, und wenn sie sich umgeschaut hat, dann immer in die falsche Richtung. Das war für mich das Komischste auf der Welt. Weil man sich so wunderbar überlegen fühlen konnte. Ich, davon war ich fest überzeugt, ich hätte das Krokodilrechtzeitig bemerkt. Hätte ganz schnell den Kasperle geholt, damit der ihm seinen Knüppel auf den Kopf haut.
    Ich habe es nicht gemerkt. Das Krokodil hat mich gefressen.
    Dabei hat mir das Schicksal meine ganz persönliche Warnung geschickt. Hat mich eine Rolle spielen lassen, in der schon alles drin war, was ich jetzt erlebe. Ich habe das Orakel nur falsch gedeutet. Das haben Orakel so an sich. Was wirklich in diesen himmlischen Scherzartikeln steckt, merkt man immer erst, wenn die Knallzigarre schon explodiert ist.
    PHÄA hieß das Stück. Die Photographisch-Akustische Experimental-Aktiengesellschaft . Ich spielte den Oberregisseur Süßmilch. Das Bühnenbild war ein Filmatelier, wo ich herumkommandierte und furchtbar wichtig tat. Nur dass dieser Süßmilch in Wirklichkeit überhaupt nichts zu sagen hatte. Er war nur ein jämmerlicher Befehlsempfänger, und der eigentliche Chef ein ganz anderer.
    «Ick plage mir», hatte ich einmal zu sagen, «und er sitzt da mit seiner Gigantenschere und schneidet.» In Theresienstadt gehört die Gigantenschere dem Herrn Obersturmführer Rahm. Er will sich eine Wirklichkeit zurechtschnipseln, und ich soll ihm das Material dazu liefern. Vielleicht hat er sich ja damals in Berlin eine Vorstellung angesehen. Die Herren Mörder haben schon immer die Kultur gepflegt.
    In einer Szene sagt der Besitzer der Filmfirma zu mir: «Sie müssen so nahe dran an das Leben, bis Sie durch die Pupillenlöcher das Letzte sehen, und wenn’s der Tod ist.»
    So denkt der Rahm auch. Nur anders rum will er es haben. Mit der Kamera so nahe rangehen, dass der Tod außerhalb des Bildes bleibt.
    Manchmal denke ich: Solche Sachen können kein Zufall sein. Vielleicht gibt es den Himmelsdramaturgen wirklich, er heißt Alemann und kennt kein größeres Vergnügen, als das Sitzbrett der Latrine anzusägen. Zuzusehen, wie einer in die Scheiße plumpst. Die ganze Welt ein gigantisches Furzkissen.
    Das ist immer noch leichter zu ertragen als die Vorstellung, dass man selber schuld ist. Dass man die Verantwortung auf niemandenabschieben kann. Dass man hätte wissen können, was kommt. Dass man es hätte merken müssen. Ich war zu blöd dazu. Habe am Lebkuchenhäuschen rumgeknuspert und die Hexe nicht gesehen.
    Sie haben mir die erste Filmregie gegeben und dann die zweite und die dritte. Ich habe nichts anderes mehr gesehen. Keine Wirklichkeit mehr, nur noch Einstellungen. Einen Lebkuchen nach dem andern habe ich mir reingestopft. Dabei stand hinter mir die ganze Zeit schon die Hexe. Ich hätte hören können, was sie vor sich hin kicherte. Ich hatte keine Ohren

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