Gerron - Lewinsky, C: Gerron
nach neunzig Minuten sind sie alle reich und glücklich und selbstverständlich verliebt. Zwischendurch, wenn dem Drehbuchautor sonst nichts eingefallen ist, tanzen und singen sie, und eine Woche nach der Premiere kurbelt man das neuste Lied schon an allen Straßenecken aus den Leierkästen. Es wird schon wieder besser, es wird schon wieder besser. Die Frauen tragen schicke Hütchen und ziehen neckische Schnuten, die Männer sind pausenlos männlich und bewahren auch in schweren Zeiten Haltung und Bügelfalte. Wer am Ende wen kriegt, bestimmt das Hugenbergsche Gehaltsbüro, gleiche Gage gesellt sich zu gleicher, und dann küssen sie sich in Großaufnahme und Abblende.
Immer derselbe Film. Immer dieselbe Geschichte.
Auf eine Fortsetzung mehr oder weniger wird es nicht ankommen.
Vor der Magdeburger Kaserne ist die Straße gewischt. Das allein beweist, dass hier wichtige Leute residieren. Sonst passiert das nur noch vor der Kommandantur.
Nur einmal, als die Kommission des Roten Kreuzes zu Besuch kam, hat die ganze Stadt so geglänzt. Zumindest dort, wo man die Delegierten hinführte. Jeder Pflasterstein einzeln poliert. Die Fassaden frisch bemalt. Vorhänge in den Fenstern. Blumenkisten. Rahmhat sich persönlich um jedes Detail gekümmert. Menschen, die ihm zu hässlich erschienen, hat er auf Transport geschickt. Damit sie ihm nicht den Gesamteindruck versauten.
Seit jenem Tag hängt auch diese furchtbar beeindruckende Tafel neben dem Eingang der Magdeburger. Oben die beiden geschnitzten Pferdeköpfe und unten diese Tafel. Die der Welt verkündet, dass hier der Judenälteste sein Büro hat.
Und seine Wohnung. Die größer sein soll als jedes Kumbal. Der Neid munkelt von ganzen Zimmerfluchten. Aber das wird wohl eine Bonke sein, wie man hier sagt. Ein falsches Gerücht.
Der Kurier hat vor dem Tor gewartet und stürzt jetzt auf mich zu. Eppstein habe schon zweimal nach mir gefragt. Man merkt, dass ihm das Angst macht. Ich spiele den Atemlosen. Behaupte, erst Luft schöpfen zu müssen, bevor ich die Treppe hinaufsteige. Die alte Ufa - Regel: Wer den andern warten lassen kann, ist schon mal im Vorteil.
Er rennt los, um Eppstein meine Ankunft zu melden. Ich gehe langsam.
Das Vorzimmer im Zentralsekretariat ist voller Bittsteller. Nicht jeder wird es schaffen, ins Allerheiligste vorgelassen zu werden. Eppsteins Zeit ist beschränkt. Sie wollen alle dasselbe. Befreiung vom Transport. Für sich oder für einen Angehörigen. Einen Arbeitsplatz, an dem man unentbehrlich ist und damit unabkömmlich. Sicherheit. Bis zum nächsten Zug nach Auschwitz. Bis zum übernächsten.
Die meisten der Wartenden sind Männer. Man sieht ihnen an, dass sie alle einmal etwas Wichtiges waren. Bevor man sie nach Theresienstadt verschickte, wo niemand mehr wichtig ist. Firmenchefs müssen sie gewesen sein. Beamte. Leute, die es gewohnt sind, mit Behörden umzugehen. Man braucht Beziehungen, um hier auch nur ins Vorzimmer zu gelangen. Einige haben ihre Frauen geschickt. Ihre Töchter. Die sich nach besten Kräften schön gemacht haben, um Eppstein mit ihrem Charme zu überzeugen. Oder mit mehr.
Sie mustern mich misstrauisch. Noch ein Konkurrent. Ich werde sofort in Eppsteins Büro geführt und höre hinter mir das wütendeMurmeln der Übergangenen. Es heißt, dass die übliche Wartezeit für eine Audienz drei Tage beträgt.
Eppstein sieht müde aus. Ein kleiner Mann. Zu schmächtig für den imposanten Schreibtisch, den sie ihm wohl bei der Stadtverschönerung hingestellt haben.
Er hält mir ein Blatt Papier hin. «Hier», sagt er. «Von Herrn Obersturmführer Rahm. Eine erste Liste von Leuten, die in dem Film vorzukommen haben. Damit Sie sich schon mal was überlegen können.»
«Ich habe noch nicht entschieden, ob ich den Film machen will.»
Eppstein sieht mich an. «Sie meinen doch nicht wirklich, dass Sie etwas zu entscheiden haben, Herr Gerron?»
Soviel zu den gelben Rosen.
Die meisten Namen auf der Liste kenne ich. Lauter A-Prominente. Dr. Meissner. Gradauer. Meyer. Waren alle mal Minister. Sommer, von Friedländer, von Hänisch. Generäle. Dr. Springer und ein paar andere Ärzte. Rabbiner Baeck und der dänische Oberrabbiner. Eine teure Besetzung.
«Die Leute sind in Großaufnahme zu zeigen», sagt Eppstein.
Ich versuche noch einmal zu widersprechen. «Rahm hat zugesagt, dass ich bis morgen Zeit habe.»
«Herr Obersturmführer Rahm», sagt Eppstein, «hat angeordnet, dass Sie ihm bis morgen ein Konzept vorlegen. Noch
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