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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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da an?» und «Schau, schau, schau, wo ist er denn?» Ich musste also noch einmal mit Probieren anfangen. Wurde ungeduldig und durfte es nicht zeigen. Ein Star, oder jemand, der sich dafür hält, lässt sich nicht hetzen. Wenn man es versucht, wird erimmer noch langsamer. Um zu demonstrieren, dass er sich nichts sagen lassen muss.
    Ich kann meine Ungeduld noch spüren.
    Als der von Neusser mitten in die Arbeit platzte und «Alle mal herhören!» rief, da habe ich gedacht: Jetzt nicht noch eine Ansage, bitte, wo wir ohnehin schon spät dran sind. Nichts anderes habe ich gedacht. Eine Nebensächlichkeit habe ich erwartet, wie sie dieser Wichtigtuer gern großspurig verkündete. Neue Essensgutscheine für die Kantine, etwas in der Art.
    Nichts anderes.
    «Alle mal herhören», rief er und plinkerte auf seinem lächerlichen Triangel herum. Bis er es dann sorgfältig auf den Boden legte und ganz langsam auf einen Stuhl stieg. In Zeitlupe stieg er auf diesen blöden Stuhl, und dann …
    Und dann …
     
    «Der Herr Reichsminister Dr. Goebbels», blaffte der von Neusser. Schwache Leute geben sich gern zackig. Stand da auf seinem Stuhl, auf einem dieser pseudovergoldeten wackligen Stühlchen, mit denen das Ballhaus Bühler auf elegant machte, stand da auf dem dünnen roten Polster mit seinen Quadratlatschen, und ich dachte noch: Was hat denn der für Schuhe an? Stiefel. Er trug tatsächlich Stiefel unter der Anzugshose. Als ob er sich schon mal aufs Marschieren eingerichtet hätte. Ein guter Produktionsleiter ist immer auf alles vorbereitet. Stand da in seinem guten Anzug. Er trug immer Weste, auch im Atelier, wo es wegen der Scheinwerfer doch immer zu heiß ist. Wollte damit Seriosität demonstrieren, oder auch nur seinen Bauch verstecken. Er hatte sich so ein ungesundes Ballonbäuchlein angefressen, von all den luxuriösen Mahlzeiten, zu denen er sich von Lieferanten einladen ließ. «Für die ganz große Korruption ist er zu feige», sagte Otto Burschatz über ihn, «aber die kleine genießt er.»
    «Der Herr Reichsminister Dr. Goebbels», bellte der von Neusser. Gab Klumpfüßchen alle seine Titel. Um nur ja nichts falsch zu machen. So wie Eppstein «Herr Obersturmführer Rahm» sagt. Wiederholtesie auch jedes Mal wieder, wenn er den Namen nannte, und er nannte ihn oft. Ein Schwächling, der auf dem Pausenhof ständig «Mein großer Bruder» sagt. «Mein großer Bruder ist stärker als deiner, mein großer Bruder wird dich verprügeln, bis jetzt habt ihr mich alle für ein Würstchen gehalten, aber jetzt habe ich einen großen Bruder, und darum bin ich stärker als ihr alle.»
    «Der Herr Reichsminister Dr. Goebbels», sagte er, «hat der deutschen Filmkunst einen neuen Weg gewiesen.» Redete so geschwollen, als ob er einen Leitartikel auswendig gelernt hätte. So wie er alle Dienstanweisungen aus der Direktionsetage auswendig wusste. Von Neusser, der beste Radfahrer der Ufa.
    «Ein neuer Weg der deutschen Filmkunst», blablabla, «Ingenium des deutschen Geistes», blabla, «innere Größe der Gesinnung». Als ob die feierlichen Worte fein säuberlich aufgelistet in einem Tagesbefehl stünden. Unser Oberleutnant Backes hat seine patriotischen Ansprachen auch immer so gehalten. Auch mit einer so schwächlichen Stimme, die er durch Pressen kräftiger zu machen suchte. Diese abgehackte preußische Offiziers-Sprechweise, wo man jedes Wort einzeln abbeißt, bevor man es ausspuckt.
    «Mangel an Mut, Zivilcourage und Bekenntniseifer.» Wuff, wuff, wuff.
    Die Kollegen ließen das Gesülze gottergeben über sich ergehen, so wie sie vorher all die technischen Unterbrechungen hatten über sich ergehen lassen. Beim Militär und beim Film lernt man warten. Die Statisten, diejenigen, die schon ein paarmal dabeigewesen waren, freuten sich sogar. Sie wussten: Noch eine halbe Stunde mehr Verzug, dann hatten sie Anspruch auf ein Mittagessen. Nur Magda Schneider guckte böse. Nicht wegen dem, was der von Neusser da erzählte, den Inhalt nahm sie gar nicht zur Kenntnis, sondern weil man sie, den Star des Films, warten ließ. Wo doch genau jetzt ihre Szene an der Reihe gewesen wäre. Oberhalb ihrer Nase bildete sich ganz langsam eine senkrechte Falte. Ich weiß noch, was ich dachte. Den Gesichtsausdruck muss ich mir merken, dachte ich, der ist viel wirkungsvoller als das neckische Schockiertsein, das sie dauernd spielt. Das aussieht wie Mamas Pensionatsmündchen.
    Die Schneider pumpte sich also zu einer Explosion auf – sie ist eine

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