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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Leere, eine lächerliche, hilflose Zappelei.
    Er versuchte es mit Worten, schrie immer wieder etwas, das wohl «Ruhe!» heißen sollte, aber seine Stimme war zu dünn, konnte sich nicht durchsetzen. Man sah ihn nur das Maul aufreißen und wieder zuklappen, ein angelandeter Fisch, der außerhalb seines Elements verloren ist.
    Er stand immer noch auf seinem Stuhl, aber jetzt sah er nicht mehr aus wie ein Volksredner auf seinem Podest, sondern – ohne dass sich an seiner Körperhaltung etwas verändert hätte – wie die lächerliche Figur in einem Schwank, die sich vor einer Maus auf den Tisch gerettet hat. In seinen Hosenbeinen, ich sehe es noch vor mir, zeichneten sich unterhalb der Knie die Schäfte dieser jämmerlichen Stiefel ab. Er hatte sie wohl zur Feier des Tages im Kostümfundus ausgegraben.
    «Der Herr Reichsminister Dr. Goebbels», setzte er noch mal an, aber der Galgenfahrer, derselbe, der mir vorher durch seine Unaufmerksamkeit eine Aufnahme versaut hatte, senkte seinen Tongalgen jetzt ganz tief runter, schwenkte ihn mit voller Kraft von links nach rechts, traf den von Neusser mit der langen Stange an seinen Stiefelbeinen und holte ihn vom Stuhl. Räumte ihn ab.
    Der von Neusser landete auf dem Rücken und blieb liegen. Er hatte sich nicht verletzt, nichts gebrochen und hätte problemlos selber aufstehen können. Aber er wartete darauf, dass ihm jemand zu Hilfe käme, sich auf seine Seite schlüge. Bloß: Da war keiner, der ihn unterstützte, kein einziger.
    Nur Magda Schneider ging auf ihn zu, aber nicht, um ihm zu helfen. Neben ihm, über ihm, blieb sie stehen, schaute verächtlich auf ihn hinunter und wartete – auch in diesem Moment wusste sie ihre Effekte zu setzen – bis alle zu ihr hinschauten und ihr zuhörten.
    «Herr von Neusser», sagte sie. «Sie wollen, dass alle Juden dasAtelier verlassen. Vielleicht haben Sie sogar die Macht, diese Anordnung durchzusetzen. Aber eines müssen Sie wissen: Wenn Sie unseren Regisseur jetzt hinausjagen, dann können Sie Ihre Scheißfilme in Zukunft alleine drehen, Herr von Neusser. Dann können Sie selber der Regisseur sein und der Hauptdarsteller und der Kameramann gleich dazu. Denn wenn der Kurt Gerron geht, darüber müssen Sie sich im Klaren sein, dann gehen wir alle mit. Stimmt’s?»
    Von allen Seiten schrien sie «Ja! Ja!» und «Hoch Gerron!» Plötzlich waren da ein paar Techniker um mich herum, kräftige Burschen, die hoben mich in die Höhe, auf ihre Schultern, ich saß da wie auf einem Thron, und vor mir rappelte sich der von Neusser vom Boden auf. Einen Augenblick lang sah es aus, als ob er vor uns kniete.
    Dann drehte er sich weg, konnte all den Menschen, die sich gegen ihn vereinigt hatten, nicht mehr in die Augen sehen und ging, quer durch den ganzen Spiegelsaal, hinaus. Mit gebeugtem Rücken. Wo er vorbeikam, machten ihm die Leute Platz, nicht aus Höflichkeit, sondern wie man einem Kranken ausweicht, von dem man nicht angesteckt werden will.
    Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, brach Jubel aus, ein wunderbarer Jubel, der gar nicht mehr enden wollte. Als er dann doch endlich verstummte, da sah das ganze Atelier, die Schauspieler und die Techniker und die Statisten, erwartungsvoll zu mir hinauf. Sie wollten eine Ansprache hören.
    Und ich fand genau die richtigen Worte.
    «Lasst uns mit unserer Arbeit weitermachen», sagte ich. «Wir haben hier einen Film zu drehen.»
     
    Aber so war es nicht.
     
    So war es:
    Von Neusser wich meinem Blick nicht aus. Stand ganz gelassen da. Wartete auf eine Reaktion, auf die er die Antwort schon vorbereitet hatte. Sah dabei nicht einmal triumphierend aus, sondern beinahe gelangweilt. Mich gab es schon nicht mehr für ihn. Ich war ihm nicht mehr nützlich und damit auch nicht mehr von Interesse. Er verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn in die Höhe, eine Mussolini-Geste, dachte ich noch, die überhaupt nicht zu ihm passte. Sein Stuhl eine Kanzel, von der herab er das neue Evangelium verkündete.
    Alle Juden verlassen das Atelier.
    Ich habe einmal, das war noch in der Stummfilmzeit, zusammen mit dem Lorre an einem Filmprojekt herumgedacht, die Geschichte eines Mannes, der gestorben ist und es nicht gemerkt hat, der immer noch herumläuft und mit den Leuten reden will, aber sie nehmen ihn nicht mehr wahr, schauen durch ihn hindurch, haben ihn auch ganz schnell ersetzt, an seinem Schreibtisch im Büro sitzt schon ein anderer, und auch seine Frau tröstet sich, er muss zusehen, wie

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