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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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können das doch.»
    Ich konnte es nie.
    «Später», sagte ich. «Ein andermal.» Wissend, dass es dieses andere Mal nicht mehr geben würde.
    «Jetzt», sagte Springer. Es war ein Befehl. «Sie waren nicht zu Hause, da habe ich angenommen, dass Sie hierherkommen würden.» Er flüsterte, was niemandem auffiel. In Eppsteins Vorzimmer werden alle Gespräche in verschwörerischem Ton geführt. Man will keinem zufälligen Zuhörer einen Vorteil verschaffen. Wer von einer Liste gehört hat, die nicht so bald platzen wird, von einer Arbeitsstelle, die einen unabkömmlich macht, muss aufpassen, dass kein anderer davon erfährt. Die Plätze im Rettungsboot sind rar. Wer seinen hergibt, ertrinkt selber.
    «Drei Minuten», sagte Springer. «Darauf wird es nicht ankommen.»
    Es kam mir aber darauf an, auf jede Sekunde. Weil ich nämlich kein Held bin. Auch kein guter Heldendarsteller. Weil ich Angst davor hatte, wankelmütig zu werden, aus welchem Grund auch immer, aus Feigheit, aus Schwäche, aus Dummheit. Weil ich nicht wusste, ob ich in drei Minuten oder in fünf noch die Willenskraft haben würde, das zu tun, was ich tun musste. Dr. Springer ließ mich nicht los. Zog mich hinter sich her, wie man ein widerspenstiges Kind hinter sich herzieht. Er ist einen Kopf kleiner als ich, aber er hat die Autorität eines Menschen, der daran gewöhnt ist, dass er nur die Hand auszustrecken braucht, und das richtige Instrument wird ihm hineingelegt.
    Auf der Straße stellte er sich vor mich hin. Legte seine beiden Hände auf meine Schultern. Musste die Arme dazu nach oben strecken. Eine Geste, die ich bei Ärzten oft gesehen habe. Immer dann, wenn sie schlechte Prognosen zu verkünden hatten. Sie müssen jetzt tapfer sein heißt diese Geste. Ich dachte: Olga ist etwas zugestoßen.
    Und er sagte: «Sie müssen diesen Film machen.»
    Er konnte nichts davon wissen. Es war nicht möglich. Die ganze Sache war streng geheim, das hatte Rahm so angeordnet. Aber Dr. Springer wusste Bescheid.
    Er beantwortete meine Frage, bevor ich sie stellen konnte. «Eppstein», sagte er. «Er kommt manchmal in mein Krankenhaus. Wenn er eine Spritze braucht, um tun zu können, was er tun muss.»
    Er sagt Krankenhaus und nicht, wie alle andern, Station . Er ist das aus seinem früheren Leben so gewohnt.
    «Sie brauchen deswegen keine Sorgen zu haben», sagte er. «Außer mir weiß es niemand. Obwohl es natürlich sehr bald ganz Theresienstadt wissen wird. Sobald Sie mit den Dreharbeiten anfangen.»
    «Ich mache den Film nicht», sagte ich. Er schüttelte den Kopf. Eine ganz kleine, mitleidige Bewegung. Wie er sie wohl auch macht, wenn er den Angehörigen eines Patienten die letzte Hoffnung nehmen muss. Tut mir leid, an der Diagnose ist nicht zu rütteln. Ihr Sohn, Ihr Bruder, Ihr Mann wird sterben.
    Sie werden diesen Film drehen.
    «Um nichts in der Welt …»
    Er unterbrach mich, bevor aus meinen Einwänden ein Monolog werden konnte. Wieder so eine typische Ärztegeste. Tut mir leid, die Lage ist aussichtslos. Nein, es macht keinen Sinn, noch einen weiteren Spezialisten beizuziehen. Es gibt keine andere Therapie.
    «Ich werde es Ihnen erklären», sagte er. «Es ist wegen Hertha Ungar.»
    Ich hatte den Namen noch nie gehört.
    «Meine Operationsschwester. Neunundzwanzig Jahre. Sie steht auf der neuen Transportliste.»
    «Es stehen viele Leute auf Listen.»
    «Ich weiß», sagte er. Nickte, als ob ich etwas Kluges gesagt hätte. «In der Regel findet man sich damit ab. Wie man sich während einer Epidemie damit abfindet, dass man nicht jeden heilen kann. Aberwenn man es kann, wenn man wie Sie die Möglichkeit hat, einen Menschen zu retten …»
    «Soll ich mich an ihrer Stelle melden? Nicht einmal das würde etwas nützen. Wenn ich Rahm nicht gehorche, sitze ich so oder so im nächsten Zug nach Auschwitz.»
    «Nein», sagte Dr. Springer. «Sie nicht und Hertha Ungar auch nicht. Ganz viele Namen werden gestrichen werden. Wenn Sie jetzt vernünftig sind.»
    «Ich bin vernünftig.» Ich muss das sehr laut gesagt haben, denn ein paar Leute auf der Straße drehten sich zu uns um. Und schauten gleich wieder weg. Dass jemand durchdreht, ist hier nichts Außergewöhnliches.
    «Passen Sie auf», sagte Dr. Springer. «Ich werde es Ihnen erklären.»
     
    Es hat tatsächlich funktioniert. Es war ganz einfach. Als ob ich plötzlich einen Zauberstab besäße.
    Dr. Springer hat mir von Hertha Ungar erzählt. Seine beste Operationsschwester, in Berlin ausgebildet. Die er

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