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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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natürlich unabkömmlich geschrieben hatte, sicher vor jedem Transport. Auf Grund seiner Funktion kann er bis zu vier Namen sperren. Und dann war sie doch auf der Liste. Springer dachte zuerst an einen Irrtum, eine bürokratische Panne, die sich leicht würde in Ordnung bringen lassen. Der Transport sollte schon am nächsten Tag abgehen, und in solchen Angelegenheiten kann jede Minute entscheidend sein. Er lief also direkt zum Ältestenrat, nicht einmal seinen Operationskittel zog er aus. Ging zu Eppstein und verlangte, dass die Liste sofort geändert würde, auf der Stelle. Aber der Judenälteste zuckte nur die Schultern. Der Eintrag sei nicht von ihm gekommen, sondern direkt aus der Kommandantur. Er wolle sich der Angelegenheit annehmen, aber es werde wohl schwierig werden. «Er ist ein Politiker geworden», meinte Dr. Springer. «Er kann nicht mehr direkt nein sagen.»
    Wenn das Ganze kein Fehler war, musste es eine Intrige sein. Springer vermutete, dass ein gewisser Reinisch dahinter steckte,ein Mann mit einem abgebrochenen Medizinstudium, der sich trotzdem einen Doktortitel anmaßte. Irgendwie hat dieser falsche Doktor es geschafft, das Vertrauen von ein paar SS-Leuten zu gewinnen. Sie lassen sich von ihm behandeln und hören auf ihn. Er hat großen Einfluss in der Kommandantur. «Mich mag er nicht», sagte Dr. Springer. «Ich habe es einmal abgelehnt, ihn im Krankenhaus einzustellen. Wo er nur kann, intrigiert er gegen mich. Am liebsten würde er mich selber auf die Liste setzen lassen.»
    Eine verrückte Geschichte. Aber in Theresienstadt ist Verrücktheit das Normale. «Sind Sie sicher?», fragte ich.
    Er antwortete mit ausgebreiteten Händen, mit dieser uralten Geste, die besagt: «Was ist schon sicher auf dieser Welt?»
    «Eppstein wird in der Sache nichts unternehmen», sagte er. «Hinterher wird er behaupten, er habe sein Möglichstes getan. Sobald etwas von oben kommt, zieht er den Schwanz ein. Er ist ein ängstlicher Mensch. Man kann ihn nur beeinflussen, indem man ihm noch mehr Angst macht. Und das werden Sie tun, Gerron.»
    Ich habe mich überreden lassen, weil es nicht mehr drauf ankommt. Wenn sich einer entschlossen hat, Gift zu nehmen – warum soll er nicht auch noch aus dem Fenster springen? Und da war noch etwas. Seine Bitte bot mir die Gelegenheit zu einem Auftritt. Zu einem letzten großen Auftritt. Ich bin nun mal eine Rampensau.
    Ich also ins Büro gestürmt, an allen Leuten vorbei. Die Statisten, mit denen Eppstein die eigene Wichtigkeit demonstriert, einfach zur Seite geschoben. Die Frau hinausgeschickt, mit der er gerade verhandelte. Von der er sich wohl mehr als nur Argumente erhofft hatte. Die Tür hinter mir zugeschlagen und den Schlüssel umgedreht. Mich vor Eppsteins Schreibtisch aufgebaut. Tief Luft geholt, damit die Stimme auch saß, und gesagt: «Tut mir leid, Herr Eppstein. Ich kann diesen Film nicht machen.»
    Er reagierte genau so, wie ich es erwartet hatte. Zuckte zusammen, als ob ihn jemand in den Bauch getreten hätte. Ich habe solche Tritte mehr als einmal gesehen. Nicht nur in Ellecom. Auf den Gesichtern ist immer zuerst dieser Ausdruck von Überraschung, bevor der Schmerz einsetzt und sie sich zusammenkrümmen.
    «Aber Rahm …» In seiner Aufregung vergaß er für einmal den korrekten Titel, holte das aber gleich wieder nach. «Was soll ich denn Herrn Obersturmführer Rahm sagen?»
    «Dass ein Regisseur unter diesen Umständen nicht arbeiten kann. Nicht wenn ihm der Judenälteste Knüppel zwischen die Beine wirft.»
    Ich argumentierte, wie ich es mit Dr. Springer besprochen hatte. Herr Rahm hatte gewünscht, dass in dem Film die gute medizinische Versorgung in Theresienstadt gezeigt würde, und selbstverständlich waren mir die Wünsche des Herrn Obersturmführers Befehl. Also hatte ich in meinem Drehbuch – ich redete davon, als ob es schon existierte – eine Szene vorgesehen, in der der Chefarzt unserer Krankenstation einen chirurgischen Eingriff vornahm. Assistiert von seiner persönlichen Operationsschwester. Um den Vorgaben von höchster Stelle zu entsprechen, konnte diese Szene nur mit der echten, eingespielten Mannschaft gedreht werden, nicht mit irgendwelchen zweitklassigen Statisten. Wenn man mir aber schon beim ersten Mal meine Darsteller wegnahm, sie einfach auf Transport schickte, ohne Rücksicht auf meine künstlerischen Intentionen und die Wünsche des Herrn Obersturmführers, dann – «tut mir leid, Herr Eppstein, aber unter solchen Bedingungen kann ich

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