Gerron - Lewinsky, C: Gerron
nicht haben wollte. Dass er eigentlich eine subalterne Natur ist. Ein zweiter Mann, den sie gegen seinen Willen zum ersten gemacht haben. Weil sie einen brauchten, der ihnen ohne Widerspruch gehorcht. Zum Dank haben sie ihm ein paar Herrschaftsbrocken hingeschmissen. Wie maneinem Hund, der brav auf Kommando bellt, den Abfall vom Mittagstisch vor die Schnauze wirft. Friss oder stirb.
Eppstein kann jeden auf die nächste Transportliste setzen, und – noch viel wichtiger – er kann ihn auch wieder streichen. Manchmal tut er das. Wenn man ihn mit guten Argumenten zu überzeugen versteht. Wobei er sich die, wie der Mundfunk wissen will, am liebsten von hübschen Frauen darlegen lässt. In Privataudienz.
Er hat Macht, aber sie ist ihm nur geliehen. Er darf sie nur solang behalten, wie er durch jeden Reifen springt, den sie ihm hinhalten. Solang die Züge nach Auschwitz voll sind und pünktlich abfahren. Solang er alles liefert, was Rahm bei ihm bestellt.
Der Regisseur Kurt Gerron ist ab sofort nicht mehr lieferbar.
Er wird mir drohen. Aus Angst um seinen Posten. «Wenn Sie sich weigern, gehen Sie auf Transport», wird er sagen. «Sie wissen, was das bedeutet.»
Nein, Herr Eppstein, ich weiß es nicht. Nicht wirklich. Natürlich, es gibt Gerüchte im Lager, jede Menge Gerüchte. Aber was tatsächlich mit den Menschen passiert, die nach Auschwitz geschickt werden, das können wir nur ahnen. Bis jetzt ist keiner zurückgekommen, um davon zu berichten.
Vielleicht weiß Eppstein Bescheid. Vielleicht wird er es mir erzählen. Um mich umzustimmen.
Ich werde mich aber nicht umstimmen lassen. Sollen sie mich eben umbringen. Mit gebrochenem Rückgrat will ich nicht weiterleben.
So werde ich es ihm sagen. Genau so. Mit diesen Worten.
Jetzt bin ich doch vor der Kommandantur angekommen. Sonst mache ich immer einen Bogen um sie. Ein verschnörkeltes Staatsgebäude mit zwei Reihen Mansarden. Früher mal das Rathaus.
Ich könnte mir den Umweg über Eppstein ersparen und direkt zu Rahm gehen. Es steht keine Wache vor der Tür. Sie wissen: Freiwillig betritt niemand dieses Gebäude. Niemand mit einem gelben Stern. Hierher wird man kommandiert. Oder geschleppt.
Rahms Büro ist in der ersten Etage. Ich würde es wohl nicht bis zu ihm schaffen. Im Keller würde ich landen, wo sie ihre Verhörzellenhaben. Manchmal hört man die Schreie bis ins Kaffeehaus. Und muss dann so tun, als ob man sie nicht bemerkt hätte.
Ich bin kein tapferer Mensch. Ich fürchte mich vor dem Tod. Aber ich gehe jetzt zu Eppstein und sage ihm, dass ich den Film nicht drehen werde. Nicht aus Mut, sondern aus Angst. Aus Angst davor, jeden Tag damit leben zu müssen.
Vom Marktplatz her der Geruch von Rosen. Für die Stadtverschönerung gepflanzt. Wenn sie es könnten, würden sie uns verbieten, ihren Duft zu riechen. So haben sie wenigstens auf den Diebstahl von Blüten die Todesstrafe gesetzt.
Sie drohen immer gleich mit dem Tod. Als ob man eine Uhr mit dem Hammer reparieren will.
Einmal ist Olga dort vorbeigegangen, und ein SS-Mann hat sie zu sich herangewinkt. Einer, den sie noch nie gesehen hatte. Ein hohes Tier. Er musste aus Prag gekommen sein. Der Offizier hatte sich eine Rose abgeschnitten, um daran zu riechen. Jetzt drückte er sie Olga in die Hand. Sagte: «Für dich.» Und ging weiter. Sie hat den Stengel vor Schreck so fest umklammert, dass ein Dorn ihr die Hand blutig gestochen hat. Er hat sich nicht mehr umgedreht.
Die Rose ist längst vertrocknet, aber sie hat kein einziges Blütenblatt verloren.
Ich glaube nicht an Vorbedeutungen.
Ich gehe jetzt zu Eppstein.
Es ist alles anders. Ich werde den Film drehen. Ich darf mir den Luxus nicht leisten, Märtyrer zu sein.
Ich war bereit dazu. Wenn ich mir später einmal Vorwürfe mache, kann ich mich daran erinnern. Ich war schon in Eppsteins Vorzimmer.
Wo dieselben Leute saßen wie beim letzten Mal. Dort sitzen immer dieselben Leute. Ich wollte an ihnen vorbei, wollte nicht warten, bis man mich aufruft, wollte Eppsteins Sekretäre, die sich dort wichtig machen, einfach zur Seite schieben. Jemand packte meinen Ärmel und hielt mich fest.
Dr. Springer. Mein Bordell-Nachbar. In einem weißen Kittel mit Blutspritzern drauf. «Ich muss mit Ihnen reden, Gerron», sagte er.
Es war wieder wie damals in der Schouwburg, wo auch, wenn man durch den Saal ging, tausend Hände nach einem fassten, an einem zerrten und alle dasselbe wollten. «Sie müssen mir helfen, Sie müssen etwas für mich tun, Sie
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