Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Bis morgen.
«Wenn wir beide Glück haben», hat er gesagt, «kommt etwas Gutes dabei raus.»
Bei der Ufa kam es manchmal vor, dass der Auftrag für einen Film da war und das Budget auch, dass die Drehtermine bestimmt waren und das Premierenkino gebucht, ohne dass jemand eine Ahnung hatte, was eigentlich in dem Film passieren sollte. Wir haben uns dann zusammengesetzt, Produzent, Regisseur, Autoren, und haben erst mal alles aufgeschrieben, was bereits feststand. Die Schauspieler, die die Geschäftsleitung drin haben wollte. Die Schauplätze, die vorgegeben waren. Weil die Dekorationen schon gebaut waren und noch nicht amortisiert.
Dann haben wir einen zweiten Zettel genommen und all die Dinge notiert, die unbedingt in dem Film vorkommen mussten. Das erste, was auf dieser Liste stand, war immer Liebe . Musik , natürlich. Schöne Landschaften, Tiere, Blumen . Und jedes Mal, dick unterstrichen: Happy End. Was die Leute eben so sehen wollen, wenn sie ins Kino gehen. Die Handlung hat sich dann meistens ganz von selbst ergeben. Sie ist ja auch nicht wichtig. Solang alles andere stimmt.
Also, Herr Gerron! Ans Werk.
Auslegeordnung:
Theresienstadt ist ein Gefängnis. Ich soll die Gitterstäbe mit Blümchenvorhängen kaschieren, kunstvoll gefältelt und in Form gebracht. Mit Hoffmann’s Silber-Glanz-Stärke .
Theresienstadt ist grau. Ich soll es bunt machen. Kein Scheinwerfer ohne rosaroten Filter.
In Theresienstadt leidet man Hunger. Man kann die Särge schmaler bauen als anderswo, weil die Leichen alle so abgemagert sind. Ich soll wohlgenährte Menschen zeigen, die an schön gedeckten Tischen Delikatessen schnabulieren und sich dann befriedigt den Magen reiben. Ich bin so satt, ich mag kein Blatt.
Mäh.
In Theresienstadt fehlt es an allem. In meinem Film soll alles da sein. Geschäfte mit richtigen Waren. Eine Bank mit richtigem Geld. Ein Kaffeehaus mit richtigem Kaffee. Das modernste Ghetto, das die Welt heut hat.
Theresienstadt ist überfüllt. Im Schützengraben hatten wir mehr Platz. Auf der Leinwand soll alles geräumig sein. Parks. Gärten. Sportanlagen. Im Kino ist alles möglich. Die haben’s gut, die Judskis, soll man denken.
Theresienstadt ist ein Ort voller Sklaven. Ich soll glückliche Arbeiter aus ihnen machen. Die mit fröhlichen Mienen Maschinen bedienen. Im Schweiß ihrer Brauen die Auen bebauen. Wir sind die sieben Zwerge und schaffen tief im Berge.
Heiho, heiho.
Schneewittchen war krasser Naturalismus dagegen.
Ich soll ein Theresienstadt erfinden, in dem alle Menschen glücklich sind. Zufrieden. Dankbar. Gesund. Wo niemand stirbt und es allen gutgeht. Wie man es den alten Leuten verspricht, damit sie ihre Heimeinkaufsverträge unterschreiben. Damit sie dankbar sind, wenn sie ihr Erspartes hergeben dürfen.
Vielleicht wollen sie den Film ja als Werbung dafür einsetzen. Obwohl: In Deutschland können nicht mehr genügend Juden übrig sein, dass sich der Aufwand rechnen würde.
Es wird wieder so etwas sein wie die Stadtverschönerung. Damals war die Aufführung fürs Rote Kreuz bestimmt. Diesmal für ein größeres Publikum.
Ich kann diesen Film nicht drehen.
Ich gehe zu Eppstein und sage es ihm. Jetzt sofort. Ohne noch einmal mit Olga zu reden. Ich würde sonst die Kraft nicht haben. Würde nur noch an sie denken, und dass ich sie nicht in Gefahr bringen darf. Würde nicht mehr wissen, was ich tun muss.
Muss.
«Vergiss mich nicht», hat Mama zu mir gesagt, bevor sie mit den andern hinausging. Umarmt wollte sie nicht werden, aber das hat sie noch gesagt.
Wenn ich diesen Film drehe, habe ich sie vergessen.
Ich gehe zu Eppstein.
«Ich verweigere den Befehl», werde ich zu ihm sagen. Nein, besser: «Melden Sie Rahm, er kann sich seinen Film sonstwohin stecken.» Den letzten Abgang soll man mit Bravour tun.
Er wird versuchen mich umzustimmen. Natürlich. Er hat Angst vor Rahm. Ich fürchte mich ja auch vor seinem Zorn und was er für mich bedeuten wird. Man sagt, wenn er schreit und prügelt, ist er noch nicht wirklich wütend. Erst wenn er nur noch ganz leise redet. «Ich bin unzufrieden mit diesem Gerron», wird Rahm sagen. Ganz leise. Und dann …
Ich gehe zu Eppstein. Jetzt. Ich muss zu Eppstein gehen.
Er wird mich vor den Folgen warnen. Wie er es immer tut. In seinen Aufrufen warnt er jedes Mal vor den Folgen. «Im Interesse der Gemeinschaft», sagt er dann. «Tun, was getan werden muss.» Was man eben so sagt, wenn man Angst hat.
Es heißt, dass er seinen Posten gar
Weitere Kostenlose Bücher