Gerron - Lewinsky, C: Gerron
begann um acht. Als ich um neun auf die Uhr schaute, war Viertel nach acht.
Ha ha ha.
Schnipp. Schnipp. Schnipp.
Wo nehmen sie die Kaninchen her? Werden sie für ihre Felle gezüchtet oder für ihr Fleisch? Ottos Hilde hat mal ein Kaninchenragout gekocht.
Soll ich den Rest meines Lebens über solche Dinge nachdenken? Soll das meine Zukunft sein? Kaninchenfelle scheren? Ich wollte diesen Film nie machen, aber jetzt sehne ich mich nach ihm.
Schnipp.
Schnipp.
Schnipp.
Alle Uhren sind stehengeblieben.
Schnipp.
Ein Kurier aus dem Sekretariat. Nicht derselbe wie letztes Mal. Ein Mann um die Vierzig. Könnte mal Soldat gewesen sein. Ich soll zu Eppstein kommen. Sofort.
Ich stehe auf und versuche mir die Kaninchenhaare von den Kleidern zu klopfen. «Auf Wiedersehen», sage ich zu den alten Männern. Einer von ihnen blickt auf. «Deutsches Arschloch», sagt er.
«Ich hoffe, Sie haben Ihre Lektion gelernt», sagt Eppstein. Sieht nicht triumphierend dabei aus, sondern bedrückt. Den Mephisto, habe ich immer gedacht, müsste man so spielen. Als einen, der unter seiner Rolle leidet.
«Welche Lektion?», frage ich.
«Sie haben sich bei den Dreharbeiten aufgespielt. Anweisungen erteilt. Das ist nicht geschätzt worden. Es hat Beschwerden gegeben.»
«Ich habe …»
Er schüttelt den Kopf, und ich schweige. Da ist eine Autorität, die ich bisher nicht an ihm gespürt habe.
«Sie haben sich wichtiggenommen, Gerron», sagt er. «In Theresienstadtist das immer ein Fehler. Hier sind Sie kein berühmter Regisseur und kein berühmter Schauspieler. Sondern nur … Wie ist Ihre Transportnummer?»
«XXIV/4-247», sage ich.
«Exakt. Das ist alles, was Sie sind. Ich wollte, dass Sie das begreifen.»
«Beim Scheren von Kaninchenfellen?»
«Seien Sie dankbar», sagt er. «Das Latrinenkommando habe ich Ihnen erspart.»
«Und Frau Olitzki?»
Eppstein schließt die Augen. Presst die Handballen gegen die Stirn. Er wird heute noch zu Dr. Springer gehen müssen, stelle ich mir vor, damit der ihm neue Kraft aus dem Medizinschrank holt.
«Frau Olitzki, ja», sagt er. «Das war wohl der Name. Es sind so viele Namen. Ich kann sie mir nicht alle merken. Es war ein Fehler, Ihnen eine Sekretärin zu bewilligen. Mein Fehler. Ich wollte mir Schwierigkeiten ersparen und habe mir welche eingehandelt. Weil Sie meine Nachgiebigkeit falsch verstanden haben. Weil Sie angefangen haben zu glauben, dass Sie jemand sind. Ihre Selbstüberschätzung hat Schwierigkeiten verursacht. Also musste ich das korrigieren.»
Er hat Frau Olitzki auf die Transportliste gesetzt, sie und ihren Mann, um mir eine Lektion zu erteilen. Es ist ungeheuerlich. Ich will ihn anschreien, aber er winkt ab. Müde.
«Sparen Sie sich die Aufregung. Ich kenne die Argumente. Alle. Sie wollen mir sagen, dass Ihre Sekretärin nichts dafür kann, und natürlich haben Sie recht. Aber wenn ich einen anderen auf die Liste setze – und die Liste muss voll werden, da führt kein Weg dran vorbei –, wenn ich Frau X in den Zug schicke oder Herrn Y, ist das dann gerechter? Können die mehr dafür?»
«Aber Frau Olitzki …», will ich noch einmal anfangen.
«Sie war ein Kompromiss», sagt Eppstein. «Von der Kommandantur ist vorgeschlagen worden, dass Sie selber auf Transport gehen sollten. Sie und Ihre Frau.»
Mein Gott. Olga.
«Es ist mir gelungen, das abzuwenden», sagt er. «Nicht weil Sie einen Anspruch darauf hätten, bevorzugt zu werden. Weil ich der Ansicht bin, dass Sie hier noch nützlich sein können. Noch. Dafür musste ich Frau Olitzki opfern. Wäre es Ihnen andersherum lieber gewesen?» Er wartet auf eine Antwort, und als ich schweige, nickt er. So wie die alten Männer in L 1-09 genickt haben. Weil sie die Geschichten, die da erzählt wurden, alle schon kannten.
«Eben», sagt er. «Lassen wir also diese Diskussion. Ich führe sie jeden Tag hundert Mal mit mir selber. Ich versuche das Beste zu tun, glauben Sie mir. Auch wenn ich weiß, dass dieses Beste abgrundtief schlecht ist.»
Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.
«Dieser Film», sagt er, «könnte für Theresienstadt wichtig sein. Eine gute Sache. Weil er Rahm von anderem ablenkt. Weil er ihn beschäftigt. Weil damit Zeit vergeht. Wissen Sie, warum die Dreharbeiten unterbrochen worden sind?»
«Unterbrochen? Heißt das …?»
«Ja», sagt Eppstein müde. Reibt sich die Augen. «Am Samstag geht es weiter. Bis dahin müsste der Mann zurück sein, den Rahm
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