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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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achten», hat Dr. Springer gesagt. Und gewartet, ob ichden Witz auch verstehe. Nicht jeden Tag Salmmayonnaise, bitte, sondern ab und zu auch ein gedünstetes Täubchen.
    Ha ha ha.
    Ein bisschen Erde war noch an der Schale. Macht nichts. Auch das füllt den Magen.
    Wie nennt man eigentlich das Innere einer Kartoffel? Kartoffelkern? Kartoffelfleisch? Ich schiebe ein kleines Stückchen im Mund hin und her. Lutsche daran. Wenn ich hineinbeiße, kann ich mich nicht mehr halten, das weiß ich. Dann ist die Gier stärker als ich. Der mehlige Brei wird im Mund süß. Kartoffel ist ein falsches Wort. Viel zu bäuerisch klumpfüßig. Toffel. Eine solche Köstlichkeit müsste einen eleganteren Namen haben. Aardappel klingt schon besser.
    Nur noch ein winziges Stück. Den Rest spare ich mir auf. Zuerst wird gearbeitet.
    1089. Totale. Der Schrebergarten von oben aufgenommen.
    1093 . Nah. Ein Mann begießt Tomaten.
    1096 . Nah. Eine Frau zieht eine Rübe aus dem Beet.
    Ich habe die Kartoffel doch aufgefressen. Konnte nicht widerstehen. Ich rede mir ein, dass es meine Belohnung war. Der Schnittplan ist fertig. Beinahe fertig. Nur noch die letzten Einstellungen. Lauter große Totalen, ineinander übergehend. Die letzten Akkorde einer Symphonie.
    1145 . Blick durch die Stadt auf den Kirchturm.
    1146. Blick durch die Stadt auf den Kirchturm.
    1147 . Blick durch die Stadt auf den Kirchturm.
    Wir leben in einem wunderschönen Ort. Es ist alles nur eine Frage der Kameraposition. Des richtigen Ausschnitts.
    1148 . Totale. Großes Panorama vom Kirchturm aus über Theresienstadt.
    Langsam abblenden.
     
    Ich sitze auf den Stufen vor der Hamburger Kaserne und versuche mich zu wärmen. Vergeblich. Der September geht zu Ende, und die Kraft der Sonne lässt nach.
    Man weiß immer noch nicht, wie es mit dem Film weitergehen wird. Der Aufschub ist mir recht. Mit jedem Tag habe ich die Chance, mich zu erholen.
    Ich warte auf Olga. Manchmal, wenn sie bei den Dänen saubergemacht hat, bringt sie etwas zu essen mit. Oder, noch nahrhafter, eine Information vom Kriegsgeschehen. Die Dänen müssen irgendwo ein Radio versteckt haben. Bis jetzt hat sich alles bestätigt, was man von dort hörte. Gestern hat Olga berichtet, dass englische Fallschirmtruppen in Arnheim gelandet sind. Dann sind sie vielleicht auch in Ellecom. Und der kleine Korbinian ist Kriegsgefangener. Oder tot.
    Nein. Das wäre zu einfach. Er muss vor Gericht gestellt werden. Sie müssen alle vor Gericht gestellt werden.
    Alle.
    Der falsche Rabbi kommt die Straße entlang. Er redet auf die Leute ein, wie immer, und sie hören ihm nicht zu, wie immer. Weichen ihm aus. Schwarze Streifen hat er auf sein Leintuch gemalt, aber es sieht trotzdem nicht aus wie ein Gebetsmantel. Bei einer ersten Probe bindet man sich so etwas um, wenn zum Kostüm eine Schleppe gehört. Er steuert auf mich zu. Ich kann ihm nicht ausweichen. Ich bin mit Olga verabredet.
    Er zieht sich das Leintuch über den Kopf und streckt die Hände in meine Richtung aus. Singt etwas. Mit einer hohen, künstlichen Stimme. Das ist seine Art, die Menschen zu segnen, hat mir jemand erklärt.
    Er ist verrückt. Vollkommen verrückt. Experimentiert mit der Religion, obwohl Theresienstadt der beste Beweis dafür ist, dass es keinen Gott gibt. Oder dass er sich für die Welt nicht mehr interessiert, die er da geschaffen hat.
    «Morgen ist Versöhnungstag», sagt der Rabbi. «Wussten Sie das? Morgen werden wir es erfahren.»
    Ich will nicht mit ihm reden, aber es liegt mir im Blut, auf Stichworte zu reagieren. «Was werden wir erfahren?», frage ich.
    «Alles», sagt er. «Morgen wird es besiegelt. Zehn Tage nach dem Neujahrsfest.» Er hat all die klugen Abhandlungen gelesen, in denen sie sich die Welt mit dem lieben Gott und den lieben Gott mit der Welt erklären. Seine Wissenschaft hat ihm nicht geholfen. Jetzt sucht er sein Heil im Hokuspokus. «Drei Bücher werden an Neujahr geöffnet», sagt er und hat wieder diese hohe Singsangstimme. «Das eine für die Sünder, das zweite für die Gerechten und das dritte für die Durchschnittlichen. Das Buch der Gerechten ist das Buch des Lebens. Dort werden sie eingeschrieben und besiegelt. Das Buch der Sünder ist das Buch des Todes. Eingeschrieben und besiegelt. Das Buch der Durchschnittlichen bleibt leer. Zehn Tage bleibt es noch leer. Die letzte Chance, zu bereuen. Wer es tut, kommt ins Buch des Lebens. Wer nicht zu Gott zurückfindet, kommt ins Buch des Todes. Morgen werden wir es

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