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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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das ist für mich ein Ehrentitel» – von uns nicht erwidert wurde. «Der Spieß ist die Mutter der Kompanie», sagte er, aber wir waren keine Kompanie, wie er sie erlebt oder sich nachträglich zusammengeträumt hatte. Mit uns konnte er nicht durch Dick und Dünn gehen, wie er sich das in seiner Folkloregläubigkeit vorstellte. Wir waren nicht seine Kameraden. Nur eine anonyme Schafherde von Kriegsfreiwilligen, und er der Leithammel, der uns zur Schlachtbank zu führen hatte. Wenn die Züge an die Front fuhren, blieb er im sicheren Jüterbog zurück und übernahm die nächste Herde. Um auch der wieder seine Freundschaft anzubieten. Wollte unser Kumpel sein und sollte uns doch nur beibringen, wie man ordentlich in Reih und Glied unters Messer marschiert.
    Als Kriegsromantiker liebte Knobeloch militärische Traditionen. In einem Garderegiment hätte er dessen sämtliche Schlachten bis zurück zum Dreißigjährigen Krieg auswendig hersagen können. Aber die Militärbürokratie hatte ihn einer geschichtslosen Ausbildungskompanie zugeteilt, viermal im Jahr neue Gesichter. Später, als die Wurstmaschine immer schneller lief, wechselten sie bestimmt noch häufiger. Also erfand er seine eigene Tradition, führte eigenmächtig eine private Dienstvorschrift ein, die bald ebenso zwingend zum Abschluss der Grundausbildung gehörte wie die feierliche Vereidigung. Wobei die, zumindest bei uns, gar nicht so feierlich war, sondern abgespult wurde wie die dreißigste Abonnementsvorstellung eines langweiligen Stücks. Ich schwöre, ich gelobe, ein Hurra auf Seine Majestät und abgetreten.
    Alle vier Wochen traf in Jüterbog eine neue Ladung Rekruten ein. Im selben Rhythmus karrten die Züge die nächste Lieferung frisch eingeschworener Jungsoldaten in Richtung Front. So hatten wir das Ritual der Vereidigung vor unserer eigenen schon zweimal miterlebt, als Statisterie, die nur den Platz zu füllen hatte, streng ermahnt, ja nicht etwa heimlich mitzuschwören, dessen seien wir noch nicht würdig.
    Wir wussten also, dass es nach der Zeremonie Urlaub bis zum Wecken gab, und dass das eine Aufforderung war, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu besaufen. Beide Male hatten wir mitgeholfen, die Schnapsleichen, die nicht mehr selber gehen konnten, in den Zug zu tragen. Wo sie dann ihren Rausch auf der Fahrt nach Frankreich oder Belgien ausschlafen konnten.
    Dem Feldwebel Friedemann Knobeloch erschien ein gemeinsames Besäufnis nicht ausreichend. Nicht so kumpanenhaft männlich, wie er sich das Leben in Uniform gern malte. Deshalb feierte seine Kompanie das Ausbildungsende nicht in einer Kneipe, obwohl es rund um den Truppenübungsplatz genügend davon gab. Sondern versammelte sich, pünktlich zwanzig null null, vor dem Eierturm.
     
    In Jüterbog ist man stolz auf das mittelalterliche Bauwerk mit dem ungewöhnlichen Grundriss. Dass wir uns dort, gleich beim Neumarkttor, versammelten, hatte aber nichts mit touristischem Interesse zu tun. Nicht mit der Art von Interesse, die man durch Nachschlagen im Baedeker befriedigen kann.
    Unser Ziel, das wir angeführt vom Feldwebel Knobeloch mit Hurra erstürmen wollten, war nicht der Turm selber, sondern ein Lokal, das so hieß. Eine vom Sanitätsdienst regelmäßig überprüfte hygienische Einrichtung, ein paar Schritte weiter an der Großen Straße. Mit anderen Worten: ein Puff. Das Bordell hatte eigentlich einen ganz anderen Namen, irgendwas Französisches, an das ich mich nicht mehr erinnere, Petit Paris oder Paradis . Etwas in der Art. Für uns angehende Soldaten war es einfach der Eierturm, ein Codewort, das von den alten Hasen, die schon zwei Monate in Jüterbog waren, augenzwinkernd an die Neuankömmlinge weitergegeben wurde. So wie sich die Übernamen der Lehrer von Schülergeneration zu Schülergeneration vererben.
    Wir waren alle erst siebzehn, ein Alter, wo die Hormone verrücktspielen. Wo man die Hände unter der Bettdecke keine Nacht stillhalten kann. Die Vorstellung, ein Bordell zu besuchen, machte mir mehr Angst als der ganze Krieg. Und versprach andererseits ein Abenteuer, das ich um nichts in der Welt hätte versäumen mögen. Ohne eine reale Vorstellung davon zu haben, worin es im Einzelnen bestehen würde. Beim Stichwort Geschlechtsverkehr war Meyers Konversations-Lexikon für einmal nicht hilfreich gewesen.
    Manche meiner Kameraden hatten durchaus einschlägige Erfahrungen oder behaupteten das wenigstens. Ich log eifrig mit. Es wäre allzu peinlich gewesen, wenn ich hätte zugeben

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