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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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sie übereinandergeschlagen. Dünne Mädchenbeine. Die Füße in unpassend dick gefütterten Pantoffeln. Als wollte sie sagen: «Ich tue, was man von mir verlangt, aber ich will dabei nicht frieren.»
    Ich muss sie eine ganze Weile angestarrt haben, aber sie erwiderte meinen Blick nicht. Sah überhaupt niemanden an, sondern schaute ins Leere, nicht gelangweilt, sondern – so deutete ich mir das – mit ihren Gedanken ganz woanders, in einem privaten Traum vielleicht, in dem es kein Jüterbog gab, sondern nur ein Samarkand oder einen andern poetischen Ort. Ich war erst siebzehn.
    Wie gern hätte ich den Arm um ihre dünnen Schultern gelegt und sie vor allem Bösen dieser Welt beschützt! Und malte mir doch gleichzeitig aus, wie sie vor mir stand und ganz, ganz langsam den Unterrock über den Kopf zog. Oder, ich kannte mich da nicht aus, schlüpfte man nur aus den Trägern und ließ den schimmernden Stoff über die Hüften nach unten gleiten?
    Heute weiß ich natürlich, dass es ihre scheinbare Hilflosigkeit war, die mich so anzog. Weil sie meiner eigenen Unsicherheit und Schüchternheit entsprach. Von allen Frauen, die da saßen, war sie die am wenigsten bedrohliche. Aber damals hielt ich das Gefühl, das in mir hochschwappte, für Romantik.
    Ich habe sie nicht bekommen. Als ich endlich den Mut beisammen hatte, mich ihr zu nähern, war da schon ein anderer aus der Kompanie, einer von den Landwirten, und der hatte weniger pubertäre Hemmungen. Stellte sich breitbeinig vor sie hin, die Hände in den Hosentaschen. Sah sie prüfend an, ein Pferd, das man ihm auf dem Markt zum Kauf angeboten hatte. Dann zuckte er die Schultern – Was soll’s? Es ist ja nicht teuer – und machte eine Kopfbewegung zur Tür hin. Sie legte ihre Zigarette weg und stand auf. Nicht in einer eleganten Bewegung, sondern beide Hände auf die Lehnen ihres Sessels gestützt. Wie eine alte Frau mit müden Beinen aufsteht. Ging hinter ihm her. Ihr Unterrock war vom Sitzen zerknittert, und die dicken Pantoffeln schlurften über den Boden. Dann war sie verschwunden.
    Natürlich, ich hätte auf sie warten können. Es konnte nicht lang dauern, bis sie wieder frei war. Aber das wollte ich nicht. Es ist lächerlich und jämmerlich, aber so empfand ich es damals: Wenn ich an diesem Abend nicht der erste bei ihr sein konnte, dann war sie mir nicht mehr jungfräulich genug.
     
    Mir selbst überlassen hätte ich mich in eine Ecke des Salons verkrochen und mich dem Weltschmerz hingegeben. Hätte mich an meiner Enttäuschung berauscht. Mit siebzehn kann Melancholie sehr attraktiv sein. Wenn auch die Pose eines jungen Werther nur schlecht in ein Jüterboger Militärpuff passt. Ich kam nicht dazu. Friedemann Knobeloch, der sich nicht nur für unsere Ausbildung, sondern auch für unser Amüsement verantwortlich fühlte, hatte mein Zögern bemerkt. Er wusste noch vom Herero-Aufstand her, wie man jungen Infanteristen die Angst vor der Feuertaufe nimmt. Oder sie zumindest dazu bringt, sich trotzdem ins feindliche Feuer zu stürzen. Er baute sich also so nahe vor mir auf, dass sich unsere Köpfe beinahe berührten. Die Arme in die Hüften gestützt, was ohne Uniform ein bisschen lächerlich aussah. Aber seine heisere Stimme produzierte auch in Zivil den Befehlston, auf den wir während zwölf Wochen abgerichtet worden waren.
    «Was denn, was denn?», bellte Friedemann Knobeloch. «Keine Müdigkeit vorschützen! Ein deutscher Soldat kennt keine Angst!» Und dann, vom Kommandoton abrupt zur Kameraderie wechselnd: «Ich versteh dich doch, Junge. Ging mir bei meinem ersten Mal genauso. Aber ich hab dir schon die Richtige ausgesucht. Zimmer fünf.» Und wieder übergangslos schnarrend: «Gruppe Gerson, links schwenkt, ohne Tritt marsch!»
    Ich war nicht unglücklich darüber, dass er mir die Entscheidung abnahm. Ich vermute, dass ich nicht unglücklich darüber war. Mit Sicherheit kann ich es nicht mehr sagen. Ich habe die Ereignisse jener Nacht in meinem Kopf so oft wiederholt, habe mir den Film so oft selber vorgeführt und jeden einzelnen Moment so bis zum Letzten ausgelutscht, dass ich schon lang nicht mehr weiß, was daran echte Erinnerung ist, und was ich im Lauf der Jahre mit Träumen, mit Wünschen und Ängsten ergänzt habe. Unser Gedächtnis ist voller Ersatzteile.
    In manchen Dingen traue ich meiner Erinnerung nicht. Kam mir im Treppenhaus wirklich ein Kamerad mit offener Hose entgegen? Baumelte sein Geschlechtsteil wirklich im Freien? War es wirklich noch

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