Gerron - Lewinsky, C: Gerron
haben können. Wenn ich ihn nicht drehe …
Auslegeordnung:
Es gibt diesen Stempel, der auf den Transportlisten neben manchen Namen steht. R.U. Rückkehr unerwünscht. Die Listen stellt der Ältestenrat auf, aber über den Stempel entscheidet die SS. Entscheidet Rahm.
R.U. würde nicht nur neben meinem Namen stehen, sondern auch neben dem von Olga. Sippenhaftung . Sie sind wieder Mode geworden, die schönen alten Worte.
Rückkehr unerwünscht. Meine Olga.
Wenn ich den Film nicht drehe oder ihn nicht gut mache, nichtüberzeugend genug, landen wir beide in einem Viehwaggon. In einem 8/40er, wie ich sie im Krieg kennengelernt habe. 8 Pferde oder 40 Mann. Nur dass sie sehr viel mehr hineinquetschen.
Der Zug, der uns in den Krieg brachte, fuhr über Köln und Brüssel. Als er endgültig anhielt, waren wir in einer Welt angekommen, wo nichts mehr Sinn machte.
So ein Krieg ist kein Film mit einem Anfang und einem Ende, und dann geht das Licht wieder an, und das Leben läuft weiter. Krieg, das sind die weggeworfenen Schnipsel vom Boden des Schneideraums, zufällig hintereinandergeklebt, ohne jeden Sinn für Dramaturgie.
In einem Ufa-Streifen wäre der allererste Mann, den ich sterben sah, bestimmt nicht einfach überfahren worden. Fürs Kino hätte man sich etwas Effektvolleres ausgedacht. Die Wirklichkeit ist da schlampig.
Es gab dort, wo wir ankamen, keinen Bahnhof. Nur ein Nebengeleise mit einem schmalen, asphaltierten Streifen, der einmal die Verladerampe einer Getreidemühle gewesen war.
Eine Transportkompanie stand mit zwei Lastwagen bereit. Sie warteten nicht auf uns, sondern auf die Güterwagen, die man dem Zug bei einem Zwischenhalt angehängt hatte. Munitionskisten. Nein, sie wüssten auch nicht, wann wir abgeholt würden. Ob wir es denn so eilig hätten, totgeschossen zu werden? Wir sollten auf gar keinen Fall in den Ruinen der Mühle Unterschlupf suchen, sagten sie noch. Auch nicht bei Regen. Die Trümmer könnten jederzeit einstürzen.
Neben der Mühle war einmal Wiese gewesen. Vielleicht hatten hier noch im Sommer Kühe geweidet. Jetzt war Winter. Die tiefen Furchen, die all die Räder in den Boden gerissen hatten, waren zu einer steinharten Karstlandschaft gefroren. Ein Bühnenbildmodell des Geländes, das uns zwischen den Schützengräben erwartete. Die tiefsten Löcher hatte man mit Kies aufgefüllt und aus Planken eine Art Straße gebaut, auf der die Lastwagen jetzt davonfuhren, einenkleinen Hügel hinauf. Als sie dahinter verschwanden, war die Landschaft plötzlich sehr leer.
Wir machten es uns bequem, so gut es ging. Unsere Tornister waren keine Kopfkissen, und unsere Mäntel wärmten nicht. Feldwebel Knobeloch hatte es als großen Fortschritt gepriesen, dass sie neuerdings, zur Gepäckerleichterung, aus einem dünneren Stoff hergestellt würden. Wir lagerten auf der Verladerampe. Weil es dort eng wurde, wichen ein paar von uns auf die Holzplanken aus. Auch der eine, an dessen Namen ich mich nicht erinnere. Unser erster Toter. In meinem Gedächtnis ist nichts von ihm übriggeblieben als der große rote Pickel an seinem Hals.
Und später dann der blutige Schaum vor seinem Mund.
Die Pritschenwagen kamen rückwärts den Hügel herunter. Ein artistisches Manöver, das man eingeführt hatte, weil man bei der Rampe wegen des zerwühlten Bodens nicht wenden konnte. Man sah sie von weitem kommen und wich ihnen aus. Nur er blieb liegen. Reagierte auch nicht auf Zurufe. Vielleicht träumte er gerade etwas Schönes.
Wie auch immer, der Fahrer konnte ihn nicht sehen, und der Wagen rollte über seinen Brustkorb hinweg. Ich meine mich an das Knacken seiner Rippen zu erinnern. Derselbe Ton, den ich dann im Medizinstudium bei den Sezierübungen so gut kennengelernt habe.
Sie packten ihn zu uns auf einen der Pritschenwagen. Zum Glück nicht gerade dort, wo ich Platz gefunden hatte. Nach dem Ausladen sah ich ihn noch einmal liegen, mit dem großen roten Pickel am Hals.
Warum ist mir dieser verdammte Pickel stärker in Erinnerung geblieben als das Blut?
Man erinnert sich nur an das, was man ertragen kann.
«Der erste Tote ist unvergesslich. Alles was danach kommt, bringt man durcheinander.» So hatte Friedemann Knobeloch uns das vorausgesagt, und er wusste Bescheid.
Das Erlebnis mit dem überfahrenen Mann hatte noch eine Fortsetzung, fast zwei Jahrzehnte später.
Es muss 1932 gewesen sein. Oder noch 31. In der Zeit, als wir bei der Ufa die Filme nur so raushauten. Ich bereitete damals Ein toller
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