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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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hat er einmal noch gekriegt, das ist ja auch so ein Kriegskrüppel. Ich hatte ihn schon in Kolmar im Lazarett kennengelernt und verschaffte ihm, wo es ging, kleine Rollen. Er wurde meist als Kriegsveteran besetzt, weil er so überzeugend hinkte. Sonst war er, mit einem Bein oder mit zweien, kein besonders guter Schauspieler.
    Der Gerstenberg war ein netter Kerl, aber wenn er angeschickert war, kam er ins Jammern und immer mit derselben Leier. Er habe für sein Bein nur das Verwundetenabzeichen gekriegt, und auch da nur das schwarze, das sie jedem anhefteten, der auch nur in eine Heftzwecke getreten war, und dabei hätte er doch ein Eisernes Kreuz verdient, mindestens, das hätten andere für viel weniger bekommen. «Wofür haben Sie Ihres gekriegt, Herr Gerron?» Und so weiter und so weiter. Das war halt sein wunder Punkt.
    Er hatte mal wieder mit seinem Monolog losgelegt, und wir taten alle so, als ob wir ihm zuhörten. Da sagte plötzlich der Alemann: «Schade, dass Sie nicht in meinem Bataillon waren. Ich hätte Ihnen das Blech besorgt.»
    Mich störte, dass er «Blech» sagte, wo doch dem Gerstenberg die Sache so wichtig war. Aber das war nur der Anfang. Der Alemann hatte mehr getrunken als sonst und kam nun seinerseits ins Reden. Mehr als drei Jahre sei er draußen gewesen und habe nicht einen Tag im Schützengraben gelegen. Die meiste Zeit in einem Bett geschlafen. «Und warum, meine Herren? Weil ich schreiben kann. Weil ich Phantasie habe. Weil mir etwas einfällt.»
    Und dann, ganz stolz auf die eigene Schlauheit, berichtete er von dem Druckposten, den er sich bei seinem Bataillonskommandeur beschafft hatte. In der Schreibstube, von wo jeden Tag die Briefe an die Hinterbliebenen hinausgingen. Bedaure zutiefst, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn heute auf dem Feld der Ehre, mit patriotischem Gruß. Eine Menge Briefe, und niemand wollte diese Arbeit machen.
    Außer dem Alemann. «Ich hätte auch Latrinen leergeschaufelt», sagte er. «Alles, um nicht ins Feuer zu müssen.» Er verfasste also diese Briefe, und weil er sein Pöstchen möglichst lang behalten wollte, gab er sich Mühe damit. Für jeden einzelnen Gefallenen ließ er sich eine eigene Heldentat einfallen. Etwas, auf das die Mütter oder Ehefrauen stolz sein konnten. Bei ihm wurde niemand einfach erschossen oder von einer Granate zerrissen, es kriegte schon gar keiner die Ruhr und schiss sich tot. Nein, sie fielen alle als Heroen, beim Versuch, einen verwundeten Kameraden aus dem Feuer zu bergen, oder an der Spitze eines Stoßtrupps. Und natürlich musste keiner leiden, sondern sie starben immer ganz schnell und schmerzlos, sagten noch «Grüßt mir meine über alles geliebte Frau», und weg waren sie.
    «Das war mein Beitrag zur Moral der Heimatfront», sagte der Alemann, «und nebenher eine gute Übung für die Arbeit beim Film. Unterschrieben hat die Briefe natürlich der Kommandeur. Es soll ja auch bei der Ufa vorkommen, dass einer die Arbeit macht, und andere schreiben ihren Namen drunter. Nicht wahr, Herr Gerron?»
    Und dann, wegen dem Gerstenberg und seinem Gejammere über das entgangene Eiserne Kreuz, wollte der Alemann unbedingt eine Geschichte erzählen. Eine sehr komische Geschichte, wie er sagte. Von einem ganz jungen Soldaten, der war gerade erst mit seiner Ersatzkompanie aus dem Zug gestiegen, und der Wagen, der ihn und seine Kameraden abholen sollte, hatte ihn überfahren. «Aus dem habe ich, um die Familie zu trösten, einen so gewaltigen Helden gemacht, dass sein Vater hinterher einen Beschwerdebrief losließ. Mit der Forderung, sein Sohn müsse für seine Taten posthum einen Orden bekommen. Den hat er dann auch gekriegt. Das EK II. Für besondere Tapferkeit. Dafür, dass er von einem Auto überfahren wurde. Was ihm am Alexanderplatz auch hätte passieren können. Und alles nur wegen meiner literarischen Fähigkeiten.»
    Er erzählte die Geschichte als Witz, und ein paar der Kollegen lachten auch mit. Der Gerstenberg nicht.
    Was mich anging, ich hätte den Schwätzer umbringen können. Nicht wegen seiner Lügen von damals, sondern weil er so stolz darauf war.
    Einen roten Pickel hat der Mann am Hals gehabt.
     
    Ich habe den Alemann später aus den Augen verloren. Erst in Holland habe ich erfahren, dass er noch eine große Karriere gemacht hat. Nicht beim Film. Er schreibt jetzt für den Völkischen Beobachter . Phantasievolle Artikel über die Machenschaften des internationalen Judentums. Mit so schönen Sätzen wie: «Der

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