Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Einfall vor, aber ich kam damit nicht richtig weiter. Der Mayring und der Zeckendorf arbeiteten gleichzeitig auch noch am Weißen Dämon , einem Projekt, das sie sehr viel mehr interessierte. Entsprechend war das Buch, das sie ablieferten, denn auch ziemlicher Pfusch. Die Geschichte mit ihren vielen Verwicklungen und Verwechslungen hatte so viele Löcher, dass man noch einmal bei null hätte anfangen müssen. Aber an ein Verschieben der Dreharbeiten war nicht zu denken. Willy Fritsch hatte in seinem Arbeitsplan nur gerade diese drei Wochen frei, und die Ufa bestand darauf, dass er die Hauptrolle spielte. Wofür bezahlte ihm Hugenberg sonst jeden Monat dreißigtausend Reichsmark? Also hieß es: «Sie machen das schon, Herr Gerron.» Dabei war ich damals auch noch am Schnitt von Es wird schon wieder besser und arbeitete so schon vierzehn Stunden am Tag.
Nun gab es da so eine Type, einen Journalisten oder Dramaturgen, der war nirgends angestellt und doch immer da. Wie der Gast, der bei jedem Gesellschaftsanlass auftaucht, und kein Mensch weiß zu sagen, wer ihn eingeladen hat. Er hieß René Alemann, das heißt: Eigentlich hieß er Rainer. Im Filmgeschäft hatten wir alle unsere Künstlernamen. Von diesem Alemann sagte man im Gewerbe, er sei zwar nicht gut, aber schnell, habe keine eigenen Ideen, verstünde es aber, die Einfälle anderer Leute weiterzuspinnen. Ich weiß nicht, wer ihm den Auftrag dazu gegeben hat, vielleicht gab es gar keinen Auftrag, aber eines Tages stand er bei mir im Büro – na ja, Büro: eine Abstellkammer, die man uns Regisseuren im Atelier gnädig überlassen hatte, damit man sich wenigstens zwischendurch mal hinlegen konnte –, und brachte mir ein Manuskript. Ein überarbeitetes Drehbuch vom Tollen Einfall . Nicht einmal schlecht gemacht. Die schlimmsten Löcher waren gestopft, und dort, wo ihm gar nichts eingefallen war, hatte er reingeschrieben «Musiknummer – noch zu ergänzen». Was ein fauler Trick war, aber immerhin eine Lösung.
Wir brauchten dringend ein neues Drehbuch, und jetzt hatten wir eins. Solang der Alemann bereit war, ohne Namensnennung zu arbeiten, hatten die Autoren nichts dagegen. Wo die Sache immer noch holperte, mussten wir uns eben auf die Beliebtheit der Darsteller verlassen. In dem Punkt waren wir gut dran. Der Willy Fritsch war der Herzensbrecher vom Dienst, die kleine Barsony unwiderstehlich niedlich, und Max Adalbert sorgte dafür, dass es etwas zu lachen gab. Also begannen wir pünktlich zu drehen, und der Film kam ja dann auch ganz gut an.
Lästig war nur, dass dieser Alemann nun fast jeden Tag im Atelier auftauchte. Sich gebärdete, als wäre er mein bester Freund. Einmal brachte er sogar für Olga Pralinen mit, und zwar genau ihre Sorte. Keine Ahnung, wie er das rausgekriegt hatte. Ich konnte ihn nicht rausschmeißen, denn schließlich war er ja tatsächlich an dem Film beteiligt. Und weil ich ihn nicht rausschmiss, dachten alle, er müsse etwas Wichtiges sein. Das war so dem Alemann seine Methode.
Wenn ich damals schon gewusst hätte, was er für einer war, wenn ich die geringste Ahnung gehabt hätte, wie er sich durch den Krieg gemogelt hatte und was später noch aus ihm werden würde, er hätte von mir Atelierverbot gekriegt bis zum jüngsten Tag. Ich hätte dafür gesorgt, dass kein Hund mehr ein Stück Brot von ihm genommen hätte. Damals, vor den Nazis, hatte ich diese Macht.
Aber ich hielt ihn für einen gewöhnlichen Schleimer. Lästig, aber harmlos. Ein bisschen lächerlich. Nur schon, wie er herumlief. Diese Sakkos mit den unnatürlich breit wattierten Schultern. Der Mann war sogar beim eigenen Körperbau ein Hochstapler. Die runde Brille, die er zum Lesen aufsetzte, aber manchmal vergaß, weil er sie in Wirklichkeit gar nicht brauchte. Fensterglas. Wollte sich damit einen intellektuellen Anstrich geben.
Ich habe in meinem Leben immer wieder den Fehler gemacht, anderen Leuten ihre Rollen abzukaufen, und so habe ich ihn lang nicht durchschaut. Bis zu dem Abend, als er sich bei Aenne Maenz zu uns an den Schauspielertisch schmuggelte und dort so viel trank, dass er für einmal, ganz gegen seine Gewohnheit, ehrlich wurde.
Mit am Tisch saß der Theo Gerstenberg, ein Kollege, der mit nur einem Bein aus dem Krieg zurückgekommen war. Vor 1914 hatte er in der Provinz die jugendlichen Helden rauf und runter gespielt, aber als er dann wirklich ein Held geworden war, konnte man ihn für die Ferdinands und Romeos nicht mehr brauchen. Nur den Tellheim
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