Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky

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Eierfrau auf dem Markt. Einen, den es beim Scheißen erwischt hatte, und weil er mit heruntergelassener Hose dalag, wirkte er toter als die andern. Narzissen, die auch alle gestorben waren. Selbst Blumen können ersticken.
    Sonst: ein Dorf wie tausend andere. Vom Krieg zerstört wie tausend andere. Nichts, worum es sich zu kämpfen lohnte.
    Auf ihrem Weg hatte sich die Wolke ausgedünnt. Man stieß jetzt immer häufiger auf Verletzte, hustend und würgend. Wir wurdenauch beschossen. Von der Seite her, wo, glaube ich, eine englische Einheit lag. Wir waren weiter vorgedrungen, als man erwartet hatte. Oder man hatte es erwartet und trotzdem nicht genügend Truppen für den Vormarsch in Bereitschaft gehalten.
    Egal.
    Wir verschanzten uns in einem eroberten Graben, direkt am Steenbeek. Die Stellung wurde dann tatsächlich auch ein paar Tage gehalten, bevor sie die Franzosen wieder zurückeroberten. Bis Ypern waren wir nicht gekommen, aber ganz viele gegnerische Soldaten waren tot, und darauf durften wir, wie Oberleutnant Backes sagte, alle sehr stolz sein.

    Sie schafften die Leichen auf Handkarren fort, immer vier oder fünf Tote in einer Ladung. Am Anfang taten sie ihre Arbeit mit einer gewissen Feierlichkeit, hoben jeden Körper zu dritt oder zu viert hoch und legten ihn behutsam, fast zärtlich, zu den andern. Aber solche Feinfühligkeit hält man nicht den ganzen Tag durch. Nicht in einer verschwitzten Uniform, mit brennenden Muskeln. Irgendwann wollten sie nur noch fertig werden. So ein toter Soldat ist ja letzten Endes auch nichts anderes als ein frisch geschlachtetes Tier. Einer fasste ihn bei den Händen, einer bei den Füßen, und dann – hopp! – schwangen sie ihn auf ihren Karren.
    Wir waren dankbar, dass man nicht uns zu dieser Arbeit eingeteilt hatte.
    In Theresienstadt haben wir auch Karren. Totenträger bekommen zusätzliche Verpflegung, und das Amt ist begehrt. Ich habe zugesehen, wie einer eine Leiche ganz allein vom Boden aufhob und zu den andern packte. Verhungerte alte Leute wiegen weniger als Soldaten in voller Uniform.
    Wo sie die Toten hinbrachten, weiß ich nicht. Es sollen ein paar tausend gewesen sein. Wenn sie die abgenommenen Erkennungsmarken alle nach Frankreich geschickt haben, muss das ein ganz nettes Paket gewesen sein. Am Anfang des Krieges waren solche ritterlichen Gesten noch üblich. Später haben sie eingesehen,dass eine Wurstmaschine nichts mit Ritterlichkeit zu tun hat.
    Im Heeresbericht stand nichts von Chlorgas. Nur von einem Vorstoß war die Rede, und dass wir in einem Anlauf durchgekommen seien. Man kann es auch so nennen.
    Zwei Tage später wurden wir abgelöst. In unserer Gruppe hatte es keinen einzigen Verwundeten gegeben, und das war uns auf seltsame Weise peinlich.
    Es gibt Dinge, über die kann man nicht reden und muss sie doch loswerden. Vielleicht ist das die Definition eines Freundes: Jemand, dem man auch das Unsagbare sagen kann. Der auch versteht, was man nicht zu formulieren weiß. Ich machte mich, sobald ich konnte, auf die Suche nach Kalle.
    Die Feldküche stand immer noch am selben Ort. Kalles privates Wappen prangte immer noch auf der Plane. Aber als ich ins Zelt schaute, rührte dort jemand anderes im Eintopf. Ich solle gefälligst warten, bis gekocht sei, wurde ich angeschnauzt, für Sonderwünsche habe man keine Zeit. Der Ton wurde auch nicht freundlicher, als ich nach Kalle fragte. Den müsse ich auf dem Verbandsplatz suchen. Wenn ich ihn anträfe, sollte ich ihm ausrichten, es sei unkameradschaftlich, sich wegen eines kleinen Wehwehchens krank zu melden. Den andern die ganze Arbeit zu überlassen. Nein, verletzt sei er nicht, und gehustet – wenn ich ihn kenne, müsse ich das ja wissen –, gehustet habe er schon immer.
    Als ich beim Verbandsplatz ankam, hatten sie ihn bereits zur Bestattung weggebracht. Ich hoffe, er hatte wenigstens eine Karre für sich allein.
    Ich erfuhr nicht gleich, dass er tot war, denn an einen Kalle konnte sich niemand erinnern. Namen interessierten hier nicht. Ich musste ihn beschreiben, damit sie wussten, wen ich meinte. Sie hatten keinen richtigen Arzt; die arbeiteten alle in den größeren Lazaretten im rückwärtigen Sektor. Nur einen Medizinstudenten, dem man zu viel Verantwortung aufgebürdet hatte. Ich ahnte noch nicht, dass ich zwei Jahre später in einer ganz ähnlichen Lage sein würde.
    Kalles dauerndes Gelächter hatte er für ein interessantes Symptom gehalten und war ein bisschen enttäuscht, als er von mir