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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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es lauter komische Erlebnisse.
    In der Grundausbildung war es ihm ergangen wie in der Penne. Er war überall durchgeschlüpft. Selbst die Schinder, die sonst an Schwächlingen gern ihre Exempel statuierten, hatten bei ihm beide Augen zugedrückt. Wer einen Heitzendorff zum Lächeln bringen konnte, dem wurde auch der wildeste Schleifer nicht gefährlich. Sie hatten ihm das Kochen beigebracht, und das war, so wie er es erzählte, die lächerlichste Veranstaltung von allen gewesen. Weil es nicht darauf ankam, wie die Sachen schmeckten, sondern nur, dass man nicht mehr als die vorgesehenen Rationen verwendete.
    «Rationen, die wir in Wirklichkeit gar nicht kriegen. Zum Totlachen. Theoretisch stehen jedem Mann dreihundertfünfundsiebzig Gramm Fleisch pro Tag zu. Nicht dreihundertachtzig und nicht dreihundertsiebzig. Exakt dreihundertfünfundsiebzig Gramm. Dabei wird manchmal eine ganze Woche überhaupt kein Fleisch geliefert. Eine geniale Maßnahme des Kriegsministeriums. Je dünner die Soldaten sind, desto schwieriger wird es für den Feind, sie zu treffen.»
    Kalle hatte sich nicht verändert. Den Krieg nahm er so wenig ernst wie alles andere. Wenn er mit seinem Suppeneimer bis in die Feuerzone gelaufen war, dann nicht aus Tapferkeit, sondern weil einem im Spiel nicht wirklich etwas passieren kann.
    Es war aber kein Spiel.
     
    Es war eine gelbe Wolke. Flaches Gelände. Wind von Osten.
    Sie hatten versucht, es geheimzuhalten, aber das hatte natürlich nicht funktioniert. An der Front, wo jede Veränderung über Leben und Tod entscheiden kann, laufen Gerüchte schnell. Ein Dutzend hoher Offiziere sei aus Berlin angereist, hieß es, mit eigenem Verpflegungswagen. In dem bestimmt nicht nur Graupensuppe gekocht wurde. Einige, so war beobachtet worden, hatten den breiten roten Generalstabsstreifen an der Hose. Die waren nicht gekommen, um den korrekten Sitz unserer Mützen zu überprüfen. Da war etwas im Busch. An den verschiedensten Frontabschnitten seien sie aufgetaucht, wurde erzählt. Hätten mit ihren Feldstechern das Gelände abgesucht. Als wären sie eine Jagdpartie und suchten die richtige Stelle für einen Ansitz.
    Was ja auch der Fall war.
    Am meisten wurde über einen Hauptmann geredet, der immer mit dabei war. Eine unmilitärische Gestalt mit einem Zwicker auf der Nase. Wenn den einer grüßte, so hieß es, dann wusste er nicht, wo er mit der Hand hinsollte. Kein hohes Tier, nicht wie die andern. Ein verkleideter Zivilist. Aber wenn er etwas sagte, dann hörten ihm alle zu. Die Feldstecher schwenkten im Gleichschritt in die Richtung, in die er zeigte. Ein wichtiger Mann, aber kein Soldat. Darüber wurde viel gerätselt.
    Auf dem Nebengeleise bei der kaputten Getreidemühle, dort, wo sie uns damals ausgeladen hatten, stand seit Tagen ein Zug mit Güterwaggons. Die wurden nicht entladen, aber rund um die Uhr bewacht. Auch das gab viel zu denken.
    Für diese Bewachung waren eigens neue Soldaten angekommen. Aus keinem Regiment, das wir kannten. Pioniere. Ganz neue Uniformen, wie man sie nur kriegt, wenn man mit dem Kleiderbullen gesoffen hat. Mit uns wollten sie nichts zu tun haben. Machten nur Andeutungen, von wegen sie wüssten etwas, von dem wir keine Ahnung hätten. Wir würden schon noch merken, woher der Wind wehe.
    Es wurden keine Sturmangriffe mehr befohlen, und unsere Artillerie schien ihre Geschütze geradezu eingemottet zu haben. Als obder Frieden ausgebrochen wäre. Einmal kamen wir nach zwei Tagen aus dem Frontgraben zurück und hatten nicht einen einzigen Schuss abgefeuert. Es würde bald ein Waffenstillstand geschlossen, ging das Gerücht. Der Mann, der sich in seiner Hauptmannsuniform so unwohl fühlte, sei in Wirklichkeit der Privatsekretär des Kaisers, und mit ihren Feldstechern hielten sie Ausschau nach einem Signal von der andern Seite.
    Der Zug, der nicht ausgeladen wurde? «Da ist Champagner drin», sagten die ganz Gescheiten. «Damit sie miteinander anstoßen können, wenn der Friede geschlossen ist.»
    Es war aber kein Champagner. Sie planten auch keinen Frieden. Sie hatten etwas ganz anderes vor.
    Es war Mitte April, und man spürte bereits so etwas wie Frühling. Zwar waren die Äcker von den Geschossen zu oft umgepflügt worden, als dass dort noch etwas gewachsen wäre. Die Mohnblumen, von denen später so viel erzählt wurde, habe ich nie gesehen. Aber man fror nachts nicht mehr so fürchterlich. Als es ein paar Tage nicht geregnet hatte, hörte man Vögel singen. Weiß der Himmel, wo

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