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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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darüber auf. Nicht wegen der Namensänderung an sich, sondern wegen ihrer Begründung. «Schämst du dich etwa deiner Abstammung?», fragte er ganz dramatisch. Ausgerechnet er, der für Judskis so gar nichts übrighatte. Der Mensch ist kein konsequentes Wesen.
    Mama machte sich mehr Gedanken darüber, was sie zur Premiere anziehen sollte. Und kam dann viel zu elegant. Mit Knisterbluse.
    Seit jenem Auftritt bin ich nun also Kurt Gerron. Und gleichzeitig immer noch Kurt Gerson. Kein schlechtes Thema für einen Sketch. Die beiden begegnen sich und führen einen Dialog darüber, was sie gemeinsam haben und was sie unterscheidet. Der Publikumsliebling und der Scheißjud. Da wären eine Menge Pointen drin. Man könnte es als Doppelrolle spielen, das mögen die Leuteimmer. In einem zweiteiligen Jackett, wie es der Jushny mal im Blauen Vogel angehabt hat. Auf der einen Seite Smoking und auf der andern gestreifte Häftlingskluft. Nein, das würden sie nicht bewilligen. Zu politisch. Halb Smoking und halb irgendwas Neutrales. Ein heller Stoff, von wegen Kontrast. Damit man verschieden aussieht, je nachdem, ob man sich im linken oder im rechten Profil zeigt. Das Gesicht müsste man auch doppelt schminken, halb und halb. Die eine Hälfte elegant, vielleicht mit Monokel, und die andere …
     
    Man hat mich oft gefragt: «Haben Sie tatsächlich die Medizin aufgegeben, um Schauspieler zu werden?» Nein. Ich wurde Schauspieler, weil ich die Medizin aufgegeben hatte. Nicht aus einer vernünftigen Überlegung heraus. Wer vernünftig ist, wird nicht Schauspieler.
    Zuerst dachte man, man könne weitermachen, wo man unterbrochen worden war. Als ob der Krieg nicht mehr gewesen wäre als ein Stromausfall oder eine verklemmte Drehbühne. Wir bitten für die kleine Panne um Verständnis und begrüßen Sie herzlich zur Fortsetzung der Vorstellung.
    Es wurde von einem erwartet. Wer das erste Staatsexamen in der Tasche hat, macht sich ans zweite, das ist nur logisch. Mama freute sich schon lang darauf, endlich «Mein Sohn, der Herr Doktor» sagen zu können.
    Ich habe mich brav wieder an der Universität eingeschrieben. Bin sogar ein paar Mal hinmarschiert. Aber ich habe es dort nicht mehr ausgehalten. Es war eben nicht nur Pause gewesen. Ein paar Millionen Leute hatten sich gegenseitig totgeschossen und in die Luft gesprengt. Das konnte man nicht einfach wegpacken. Das ließ sich nicht in den Schrank hängen wie die alte Uniform. Das steckte in einem drin.
    Wir waren nicht mehr die selben, und die Welt war nicht mehr die selbe. Nur an der Fakultät hatte sich nichts verändert. Absolut nichts. Alles in Spiritus eingelegt, wie die Missgeburten in derPräparatesammlung. Die selben Professoren mit den selben gepflegten Bärten hielten die selben Vorlesungen. Machten immer noch an den selben Stellen die selben Witze. Die auch gepflegte Bärte hatten. «Warum sind Chirurgen so unbeliebt? Weil sie Aufschneider sind.» Ha ha ha.
    Bloß: Es lachte keiner mehr.
    Wenn schon Medizin, so dachten wir Kriegsheimkehrer, dann nicht, um irgendwelchen überfressenen Schiebern Pülverchen für ihre Bauchschmerzen zu verschreiben. Oder ihnen gegen ihre Syphilis eine Salvarsan-Injektion zu verpassen. Wenn schon, dachten wir, dann wollten wir etwas verändern. Der Krieg hatte uns idealistischer gemacht, aber nicht intelligenter. Vier Jahre Wurstmaschine, und wir glaubten tatsächlich, es würde sich jemand für unsere Erfahrungen interessieren.
    Im Lazarettzug hatten die Optimisten noch gesungen: «In der Heimat angekommen, fängt ein neues Leben an, eine Frau wird sich genommen, Kinder bringt der Weihnachtsmann.» Wir waren genauso naiv. Wer an den Weihnachtsmann glaubt, ist selber schuld.
    Der Friede war so ungeplant ausgebrochen wie vier Jahre vorher der Krieg. Genauso chaotisch. Und hielt genauso wenig, was man sich von ihm versprach. Es war alles zusammengebrochen, die alten Autoritäten und die alten Gewissheiten. Nicht allmählich, dass man sich hätte daran gewöhnen können, sondern von einem Tag auf den andern. Der sozialdemokratische Reichskanzler, so erzählte man sich, legte sich bei seinem ersten Besuch im Stadtschloss ins Bett des Kaisers. Nur um zu sehen, ob ihn tatsächlich keiner rausschmiss.
    Das Staatsgebäude war eingestürzt, und aus den Trümmern sollte man sich nun etwas Neues konstruieren. Eine gute Zeit für Leute, die behaupteten, einen Bauplan zu haben.
    Ob einer in dem Durcheinander links wurde oder rechts, ob er bei den

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