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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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sagen müssen, dass ich das Studium aufgegeben hatte. Aber dann hätten sie gefragt: «Wenn du nicht Arzt werden willst – was willst du sonst aus deinem Leben machen?» Und ich hätte keine Antwort gewusst.
    Um Diskussionen auszuweichen, war ich möglichst wenig zu Hause. Während mich meine Eltern in Vorlesungen oder Seminaren glaubten, ließ ich mich durch die Stadt treiben. Es kam mir vor, als ob ganz Berlin zu einer riesigen Theaterbühne geworden wäre. Man spielte Staatsstreich oder Revolution, und die Waffen, mit denen die Darsteller aufeinander losgingen, waren nicht mit Knallplättchen geladen. Aus reinem Theaterinteresse ging ich oft zu politischen Versammlungen und habe doch nichts von dem wahrgenommen, was sich dort so deutlich ankündigte. Ich achtete auf die Inszenierung, nicht auf den Text. Auf die Darsteller, natürlich. Wobei mich die Leute mit den großen Monologen am wenigsten faszinierten. Die Paradiesverkünder und Heilspropheten, so schien es mir, ob sie nun hinter einem fahnengeschmückten Rednerpult standen oder nur auf einer Seifenkiste, agierten alle nach dem gleichen Schema und mit den gleichen Gesten. Kommunisten oder Monarchisten – sie verwendeten alle die gleichen billigen Bühnentricks.
    Viel interessanter fand ich die Nebendarsteller. Der muskelbepackte Schlachtergeselle, der als Saalschutz breitbeinig vor dem Podium stand und vor lauter Stolz auf die eigene Wichtigkeit nicht mehr in sein Hemd passte. Der ältere Herr, der sein persönliches Rezept zur Rettung der Menschheit auf zwei Plakaten durch die Stadt trug, eins vor dem Bauch und eins auf dem Rücken, und weil ihm so viel dazu eingefallen war, wurde die Schrift nach unten hin immer kleiner. Der Kriegsinvalide, der sich einem Demonstrationszug anschließen wollte, auf seinen Krücken hinter der Marschkolonne herhumpelte und verzweifelt bat, sie sollten auf ihn warten. Man langweilte sich nicht, in jenen Jahren in Berlin. Ich habe dort mehr Typen studieren können, als ich in meinem ganze Leben gespielt habe.
    Früher oder später landete man in einem der Lokale, wo man nicht nur Erbsensuppe und Bier servierte – und, wenn man Glück hatte, kostenlose Schrippen –, sondern wo es auch ein Nudelbrett von einer Bühne gab, auf der furchtbar überzeugte Leute furchtbar überzeugte Verse rezitierten. Am häufigsten war ich im Küka an der Budapester Straße. Dort ging es dann auch los mit der Schauspielerei.
     
    Fünf Mark. Das war das Honorar für einen Auftritt im Künstler-Café. Für jeden der gleiche Betrag, da gab es nichts zu verhandeln. Auszahlung direkt nach der Vorstellung. Wenn man sich durch seine Texte gezittert hatte, stellte einem Resi Langer ein Bier auf den Tresen. Legte ein Päckchen daneben. Fünf Markstücke, säuberlich in Zeitungspapier eingewickelt. Wie die Groschen, die Mama manchmal für einen besonders gefühlvoll tremolierenden Hinterhofsänger aus dem Küchenfenster warf. Als ich mein erstes Päckchen einsteckte, bewusst läßig, als ob es auf das Geld überhaupt nicht ankäme, habe ich mir fest vorgenommen, zumindest eine der Münzen aufzubewahren. Als Erinnerung an meine allererste Gage. Aber schon nach ein paar Tagen hatten sie sich alle, samt Reichsadler und Eichenlaubkranz, in Bockwürste und Gulaschsuppe verwandelt.
    Später, an der Wilden Bühne, standen dann keine Beträge mehr in den Verträgen. Während der Inflation hätte das keinen Sinn gemacht. Die Gage berechnete sich nach Sitzen. Ich, als Anfänger, hatte Anspruch auf anderthalb Parkettplätze. Was immer die an dem Abend kosteten, erhielt ich ausbezahlt. Beeindruckende Summen. Auf dem Papier. Man musste sie nur ausgegeben haben, bevor am nächsten Tag um zwölf der neue Index rauskam und die Gage nichts mehr wert war. «Andere Länder bilden auf den Banknoten ihre Könige ab», sagte Otto. «Wir drucken unsere Minister drauf. Lauter Nullen.»
    Als ich dann ein Star war, einer der bestbezahlten der Ufa – nicht gerade wie der Fritsch oder der Albers, aber doch so, dass ich miralles hätte leisten können –, da war das Geld für mich schon wieder nichts wert. Weil ich keine Zeit hatte, es auszugeben. Es lag nur auf dem Konto rum. Das sie dann beschlagnahmt haben.
    Immerhin: In Paris, wo es die meisten Flüchtlinge knapp zu einem Zimmer in einer Absteige brachten, konnten wir uns noch eine eigene Wohnung leisten. In Amsterdam hat es dann auch dafür nicht mehr gereicht.
    Geld ist eine seltsame Sache. Da gab es die dreihundert Gulden,

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