Gerron - Lewinsky, C: Gerron
In einem Filmatelier beim Spittelmarkt.
Er nahm den Zufall so selbstverständlich, wie es seine Art war. «Es ist nun mal so», sagte er. «Du wirst mich nicht los.»
Als die Szene dann im zweiten Anlauf im Kasten war – für gewöhnlich musste es beim ersten Mal klappen, Filmmaterial war teuer –, setzten wir uns zusammen und erzählten. Otto war, genau wie er es erwartet hatte, bei Siemens-Schuckert nicht wieder eingestellt worden und hatte sich schließlich, als man ihn von wegen behindert auch sonst nirgends haben wollte, als Elektriker beim Film beworben. Dort suchte man aber gerade einen Requisiteur, und er kriegte die Stelle auf Probe. Und hatte damit seine Berufung entdeckt. Ungeschlagener Meister im Organisieren war er schon immer gewesen. Einmal, darauf war er stolz, schwatzte er dem Zoologischen Garten für einen Tag ein Löwenjunges ab, und die antike Lustliege, die sie für einen Kostümfilm brauchten, lieh er sich in einem Friedrichstraßenbordell. Was immer sich ein Regisseur einfallen ließ – Otto beschaffte es. Mit links. «Weil es mit rechts ja nicht geht», sagte er, «so ohne Hand.» Und kauteauf seinem Walrossschnurrbart herum. «Aber wie kommst du dazu, plötzlich Gerron zu heißen? Ist das ein Druckfehler oder Absicht?»
Ich habe mir meinen neuen Namen nicht selber ausgesucht. Ich hätte einen eleganteren gewählt. So einen klangvollen Tenornamen. Der auf einem Plakat gut aussieht, oder wenn man die Buchstaben aus Glühbirnen zusammensetzt.
Es war Trude Hesterbergs Idee. Eine Frau, der man nicht widerspricht. Charmant wie sonst was, aber stur. Ich war mit der Änderung sofort einverstanden. Mit welchem Namen ich auf dem Programmzettel erschien, war mir egal. Solang ich nur draufstand. Ich hätte mich auch Willibald Knautschke nennen lassen.
Die Hesterberg hatte damals gerade ihre Wilde Bühne gegründet, im Untergeschoss des Theater des Westens, dort, wo all die alten Germanen aus den Mosaiken dräuen. Oder nicht mehr dräuen. Ich glaube, der Nelson hat die später alle rausreißen lassen. Das Engagement war ein echter Glücksfall für einen Anfänger wie mich. Hat meiner Karriere einen gewaltigen Schubs gegeben. Weil dort gute Leute für mich Texte schrieben. Für die Hesterberg haben sie alle gearbeitet, die heute verboten sind.
Wir bereiteten also die Eröffnungspremiere vor, und nach einer Probe sagt sie so zwischen Tür und Angel: «Ach ja, Kurt, bei mir heißt du übrigens Gerron. Gerson klingt mir zu jüdisch.» Und war schon wieder weg. Die Frau ist ein Wirbelwind. Noch nicht mal dreißig Jahre alt, gründete sie da ihr eigenes Theater und sang gleichzeitig am Metropol jeden Abend Die lustige Witwe.
Sie hat meinen neuen Namen wohl ohne großes Nachdenken ausgesucht. Vielleicht nur, weil das doppelte R so preußisch männlich klang. Später habe ich immer eine andere Geschichte erzählt. In einem Mehring-Chanson – Der Zirkus herrscht! Der Weltquatsch ist beendigt! – hatte ich zu singen: «Vive la guerre und immer feste druff.» Weil ich das R dramatisch rollte und beim und den Schlusskonsonanten wegschlabberte, klang das bei mir wie «Vive la Gerron,immer feste druff.» Und deshalb … Hört sich überzeugend an, ist nur leider nicht wahr. Das Mehring-Lied habe ich erst in meinem allerletzten Programm bei der Hesterberg gesungen.
Nein, der Name war Zufall. Wie so vieles in meiner Karriere. Nur schon, dass ich überhaupt an die Wilde Bühne kam. Weil die Hesterberg gerade an dem Abend, als ich dort aufgetreten bin, in Resi Langers Künstler-Café saß. Wenn sie nicht am Mittwoch dorthin gekommen wäre, sondern am Donnerstag … Wenn sie nicht die rote Trude gewesen wäre … Man nannte sie wegen ihrer gefärbten Haare so, aber auch wegen ihrer Weltanschauung. Weil ich Mitglied ihres Ensembles war, galt ich gleich als ernsthafter politischer Sänger. Was ich überhaupt nicht war. Ich hätte alles gesungen damals, rampengeil, wie ich war. Wenn mich statt der Hesterberg der Rudolf Nelson entdeckt hätte, wäre ich mit der genau gleichen Begeisterung ein singender Bumskomiker geworden.
Was ich, wenn man dem Brecht glauben will, ja auch immer war.
Egal.
Gerson oder Gerron, für mich war das keine große Sache. Damals haben alle ihre Namen geändert. Aus dem Goldmann wurde der Reinhardt, aus dem Lewysohn der Nelson und aus dem László Loewenstein der Peter Lorre. Das war so üblich. Aber Papa, und damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, regte sich fürchterlich
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