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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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die man jedes Mal beim Vreemdelingendienst vorweisen musste, wenn man seine Aufenthaltserlaubnis verlängerte. Um nachzuweisen, dass man genügend finanzkräftig war, um dem holländischen Staat nicht zur Last zu fallen. Die dreihundert hatten wir alle. Man präsentierte sie, gab sie an den nächsten weiter, und der wies sie eine Stunde später seinerseits vor. Welch wundersame Geldvermehrung! Ich bin sicher, die Beamten haben den Trick durchschaut, aber beschlossen, nicht so genau hinzusehen. Weil sie uns helfen wollten. Oder sich selber Umstände ersparen.
    Egal.
    Später haben wir dann überhaupt kein Geld mehr gebraucht. Im Lager herrscht Kommunismus. Keiner hat etwas, und das wird brüderlich geteilt. In Theresienstadt ist es noch komplizierter. Da hat jeder einzelne sein theoretisches Konto. Von dem er natürlich nichts abheben kann. Für meinen Film – meinen? – sollen wir eine Kulissenbank bauen und so tun, als ob es hier wirkliches Geld gäbe und etwas zu kaufen dafür. Das hat sich der Rahm so ausgedacht. Und warum nicht? Die Banknotenbündel, die Otto für eine Casino-Szene auf den Spieltisch stapelt, sind auch nicht echt.
    So wenig wie Olgas Erbteil, damals, als ihr Vater starb. Im eigenen Bett. Sie kommt aus einer glücklicheren Familie als ich. Als die Nachricht in Holland eintraf, war das Geld längst gestohlen. Auf streng legale Weise, darauf legt man in Deutschland wert. In ihrem unverbesserlichen Optimismus hat Olga den Versuch nie aufgegeben, die Familienersparnisse zurückzubekommen. Ich weiß die Summe immer noch: Neuntausendsechshundertachtundvierzig Reichsmark. Und achtundneunzig Pfennige. Beschlagnahmt bei derDepositenkasse Fischmarkt. All die Anträge, die sie geschrieben hat. Hat schreiben lassen. Von diesem Rechtsanwalt, der sich nicht mehr Anwalt nennen durfte, sondern nur noch Konsulent. Weil er ein Judski war, hatte man ihn zum zweiten Mal beschnitten. Ihm seinen Titel weggeschnibbelt.
    Sie hoffte bis zum Schluss, dass man ihr wenigstens einen Teil ihres Erbes zurückgeben würde. Wollte nicht glauben, dass Räuber auch dann Räuber bleiben, wenn sie statt Pistolen Aktenzeichen verwenden. Wenn sie nicht «Hände hoch!» sagen, sondern «11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz» .
    Neuntausendsechshundertachtundvierzig Reichsmark und achtundneunzig Pfennige. Dafür hätte ich fast zweitausend Mal im Küka auftreten müssen.
     
    Als ich noch Interviews gab, statt bei Fragen strammzustehen und «Jawoll!» zu brüllen, haben sie immer mal wieder von mir wissen wollen: «Warum sind Sie Schauspieler geworden?» Ich habe dann die Floskeln rezitiert, die von mir erwartet wurden, «die Faszination des Theaters» oder «der Reiz, in andere Persönlichkeiten zu schlüpfen». Die ehrliche Antwort hätte lauten müssen: «Ich bin Schauspieler geworden, weil sich ein Dilettant in die Hose gemacht hat.» Nur kann man das einem Reporter nicht in den Block diktieren.
    Aber so war es.
    Ich war mal wieder so gegen elf Uhr abends im Küka gelandet. Es muss ein Montag gewesen sein, denn ein Neuling hatte seinen ersten Auftritt. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Es war wohl kein Name, den man sich merken muss. Ich habe später nie mehr etwas von ihm gehört. Die Resi Langer kündigte ihre allwöchentlichen Nachwuchs-Abende immer groß als Gastspiel an, aber jeder wusste: Da macht sich nur mal wieder jemand für fünf Mark lächerlich. Trotzdem habe ich die kleine Anzeige mit Gastspiel Kurt Gerson jahrelang in meiner Brieftasche mit mir rumgetragen. Bis das dünne Zeitungspapier irgendwann zu zerbröseln begann. MeinAberglaube hat mir im Leben so wenig geholfen wie anderen ihr Glaube.
    Die Bühne war winzig und wurde noch kleiner dadurch, dass sich die Stammgäste angewöhnt hatten, ihre Gläser darauf abzustellen. Bei Resi trank man Bier. Wer Wein bestellte, tat das auf eigene Gefahr. Es gab keinen Vorhang. Keine Kulisse, aus der man hätte auftreten können. Wer dran war, stieg auf einen Stuhl und von dort auf das Podest. Wenn man später wieder runter wollte, war der Stuhl meistens besetzt, und man konnte sehen, wo man blieb. Definitiv kein Staatstheater.
    Manche Leute können sich auf der Bühne noch so ungeschickt anstellen, die Zuschauer mögen sie trotzdem. Dilettantismus kann auch liebenswert sein. Der Möchtegern an jenem Abend hatte nichts von diesem naiven Charme. Er war lang und dünn, so etwa die Figur, wie ich sie vor dem Krieg mal hatte. Die Gliedmaßen wie verkehrtrum angeschraubt, so

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