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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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dann am Schluss nicht mehr die erste war – sagt der Peachum: «Der Mensch hat die furchtbare Fähigkeit, sich nach eigenemBelieben gefühllos zu machen.» Der Lorre hat das schon bei der Stellprobe so gesprochen, dass man merkte: Der Mann leidet unter sich selber. Der tut nicht gern, was er tut. Würde sich lieber Gefühle leisten können. Genau die Haltung, die man bei manchen SS-Leuten beobachten kann. Wollen getröstet werden, wenn sie gezwungen sind, einem was anzutun. Sehen einen mit ganz feuchten Augen an, wie um zu sagen: «Eigentlich wäre ich ja ein guter Mensch.» Erst dann schlagen sie zu. Dienst ist Dienst, und die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die Fähigkeit, sich nach eigenem Belieben gefühllos zu machen. Manchmal hat der Brecht Dinge verstanden, die er nicht erlebt haben konnte. Schade, dass sich die Muse für ihre Küsse keinen netteren Menschen ausgesucht hat.
    Dem Ponto fehlte dieses Verdruckste, das der Lorre hatte. War ein echter Verlust für die Inszenierung, dass der ausgestiegen ist. Aber er war so felsenfest davon überzeugt, es würde eine Katastrophe werden. «Wir fallen auf den Bauch», hat er immer gesagt. Hat dann eines Abends bei Schwanneke zwei Dutzend Austern bestellt und sich davon eine Lebensmittelvergiftung geholt. Mit Ansage. Musste sich für seine Krankmeldung nicht wirklich verstellen, mit seiner alten Gallengeschichte und all dem Dreck, den er sich ständig gegen die Schmerzen spritzt.
    Hinterher hat’s ihn dann gereut. Aber erst mal war er nur glücklich, weil er nicht mehr dabei sein musste.
     
    Und die Neher. Eine faszinierende Frau.
    Einmal muss ich zu Hause so von ihren Augen geschwärmt haben, von diesem Blick, bei dem einem die Luft wegblieb, dass sogar Olga, die dafür nun wirklich kein Talent hat, fast ein bisschen eifersüchtig wurde. Am nächsten Tag hat sie sich dann in die Probe gesetzt und hinterher zu mir gesagt: «Ich weiß nicht, was du hast. Die schaut gar nicht verführerisch, die ist bloß kurzsichtig.»
    Die Neher war mit dem Klabund verheiratet, dem Mann, der diese wirklich hübschen Chansons für die Ebinger geschrieben hat. Ich hab auch mal ein paar Texte von ihm ausprobiert, aber sie passten nicht zu mir. Ich bin kein Mann für papierfeine Lyrik. Ich muss draufhauen können. Als die Proben anfingen, lag der Klabund in einem Davoser Sanatorium und hustete sich die Lunge aus dem Leib. Krank war er schon immer gewesen. Die Carola ist mitten in den Proben weggefahren, um an seinem Bett zu sitzen. Der Aufricht rief jeden Tag zweimal in der Schweiz an, um zu fragen, wann denn wieder mit ihr zu rechnen sei. Aber der Klabund machte mit dem Sterben nicht vorwärts, und unser Herr Direktor wurde immer ungeduldiger. Dabei ist der Aufricht ein netter Mensch. Aber er hattenun mal sein ganzes Geld in diese Produktion gesteckt. Wenn sich der Premierentermin nähert, drehen alle Theaterleute durch.
    Die unmöglichsten Umbesetzungen hat er vorgeschlagen. Einmal sogar diese völlige Dilettantin, die er beim Whisky aufgegabelt hatte. Aber dann ist der Klabund gerade noch rechtzeitig gestorben. Ich weiß noch, wie der Aufricht es uns mitgeteilt hat. Nicht «Er ist tot», hat er gesagt, sondern: «Morgen probiert sie wieder.»
    Die Neher kam also zurück. Ganz in Schwarz. So elegant, dass man nicht zu sagen wusste: Trägt sie das jetzt aus Trauer oder weil es ihr so gut steht? Der Brecht nannte sie die frischgebackene Witwe und war hin und weg. Hat sie bedeutend netter behandelt als alle andern.
    Als Polly war sie von Anfang an zum Küssen gut gewesen. Nach der Beerdigung wurde sie noch viel besser. Ausdrucksstärker. Der Tod ihres Mannes hat sie ganz durchsichtig gemacht.
    Ich hab das oft beobachtet: Wenn einer wirklich am Ende ist, kann er entweder überhaupt nicht mehr spielen, oder er spielt so gut wie nie zuvor. Der Lazarowitsch zum Beispiel. Ein Provinzschmierant schlimmster Sorte, der den Nazis am meisten übelnimmt, dass er seinen so wunderbar germanischen Künstlernamen nicht mehr tragen durfte. Adalbert von Reckenhausen. Je kürzer die Rollen, desto länger der Name. Über Die Pferde sind gesattelt ist der nie hinaus gekommen. Und jetzt machte er diese Rezitationsabende mit all den klassischen Vorsprechmonologen, die er auf der Bühne nie hatte spielen dürfen. Wir hatten sechzehn Fähnlein aufgebracht, lothringisch Volk, zu Eurem Heer zu stoßen. Peinlich ungekonnt. Bis auf den Abend, wo er für den nächsten Tag zum Transport aufgeboten war und den

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