Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Aufricht natürlich, der konnte nicht anders. Ein süchtiger Spieler, der sein letztes Geld auf eine Roulette-Zahl gesetzt hat. Wenn sie nicht rauskommt, ist er bankrott. So einer muss an seine Chance glauben. Sonst kann er sich gleich eine Kugel durch den Kopf schießen.
Sein Vater war ein reicher Holzhändler irgendwo in Oberschlesien. Von dem hatte er sich hunderttausend Goldmark erbettelt und alles in diese Inszenierung gesteckt. Das Theater am Schiffbauerdamm gepachtet. Das schon so lang leer stand, dass in der Unterbühne die Mäuse nisteten. Beschlossen, am 31. August müsse Premiere sein. Nicht einen Tag später. Weil das sein dreißigster Geburtstag war. Wollte sich zur runden Jahreszahl eine Theatereröffnung schenken. So ein Spinner war das.
Nur ein Spinner konnte dem Brecht ein Stück abkaufen, das es noch gar nicht gab. Nicht in einer Form, in der es ein vernünftiger Mensch auf den Spielplan gesetzt hätte. Eine uralte englischeKomödie, die ein Dramaturg entstaubt hatte, und die dann in London ewig lief, vor ausverkauften Häusern. An den Erfolg wollte sich der Brecht ranhängen und hat die Hauptmann beauftragt, das Stück für ihn zu übersetzen. Er hatte immer seine Sklavinnen, die für ihn schuften durften und ihn dafür anhimmelten. Zum Dank soll er sie dann bei den Tantiemen furchtbar über den Tisch gezogen haben.
Egal. Ich will mich an den Erfolg erinnern. An den Applaus. An den Jubel jeden Abend.
Auch das ist ein Teil von mir.
Was mir am stärksten im Gedächtnis geblieben ist, sind die Probenkräche. Einer immer dramatischer als der andere. Es gibt scheinbar Schauspieler, die sind überhaupt nur dafür zum Theater gegangen. Sind nur glücklich, wenn sie bei jeder zweiten Probe einen türenknallenden Abgang hinlegen können. Mit dem vollem Burgtheater-Bibber in der Stimme. «Ich betrete dieses Theater nie mehr! Nie, nie mehr!» Und ab durch die Mitte.
Wenn ich zehn Mark gekriegt hätte für jedes Mal, wo jemand bei der Dreigroschenoper diesen Satz gesagt hat und am nächsten Tag doch wiedergekommen ist – ich hätte mir einen Hispano-Suiza kaufen können. Mit Dreiklanghupe.
Das totale Chaos. Nur vier Wochen Proben, mit einem Stück, das nicht fertig war. Als wir uns in Berlin zur Leseprobe trafen, saß der Brecht immer noch irgendwo in Südfrankreich und schrieb neue Szenen. Aber der Aufricht wollte ja unbedingt den Premierentermin halten. Weil es sein Geburtstag war, und er seinen Vater schon eingeladen hatte. Ganz schön verrückt, der Mann. Um ein Theater aufzumachen, muss man verrückt sein.
Vielleicht, wenn alles rund gelaufen wäre … Aber nichts lief rund. Gar nichts. Wenn der Aberglaube stimmt, dass auf eine schlechte Generalprobe eine gute Premiere folgt, dann war uns der Erfolg vorausbestimmt. Weil nicht nur die Generalprobe eine Katastrophe war, sondern die ganze Probenzeit.
Der Schiffbauerdamm war ewig nicht verpachtet gewesen. Esfehlte an den selbstverständlichsten Dingen. Die Techniker das Letzte vom Letzten. Der Requisiteur, Malenke hieß er oder Marenke, hatte Kinder mit drei verschiedenen Frauen. Wie er das geschafft hat, ist mir heute noch ein Rätsel, so ein hässlicher Gnom, wie der war. Um seine Brut zu ernähren, hatte er in den Jahren, wo das Theater leer stand, alles verkloppt, was nicht niet- und nagelfest war. Mit dem Möbellager dasselbe. Im Konversationszimmer gab’s noch nicht einmal Stühle. Und kurz vor der Premiere hat er mich beinahe umgebracht. Er hatte die Schienen konstruiert für das hölzerne Pferd, auf dem ich im Finale als reitender Bote auf die Bühne rollen sollte. Von ganz hinten, wo die Musiker in dieser riesigen Orgel saßen, bis nach vorne an die Rampe. Nur hatte er die Schienen zu schräg gebaut. Als wir den Schimmel probeweise allein losfahren ließen, kippte der mit Überschlag über die Rampe und in den Zuschauerraum. Der reitende Bote kam dann zu Fuß, und ein Statist breitete ein Stück Rasen für mich aus, damit ich wenigstens ein kleines bisschen majestätisch wirken konnte.
So eine Inszenierung war das.
Allerdings: Beim Ensemble hatte der Aufricht eine gute Nase. Die Besetzung, mit der wir in die Proben einstiegen, war sogar noch besser als die endgültige. Der Lorre als Oberbettler Peachum, da lief’s einem kalt den Rücken runter. Nicht dass der Ponto, der es dann gespielt hat, abgestunken wäre, überhaupt nicht. Aber der Lorre hat etwas, das kann man in keiner Schauspielschule lernen. In der allerersten Szene – die
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