Gesammelte Werke 1
Treffer erhalten und sich trotzdem nicht in einen Schutthaufen verwandelt hat.
Anfangs schien mir, als sei der Pavillon durch die schweren Einschläge der Geschosse verrückt und nach hinten geschoben worden, denn er steht halb auf dem Trottoir und mit einer Ecke fast in die Hauswand gedrückt. Aber so ist es nicht.
Die Geschosse haben runde Löcher mit versengten, rußigen Rändern in die gelbe Fassade geschlagen und sind dann drinnen explodiert. Dadurch wurden die breiten Türflügel des
Eingangs nach außen gedrückt und scheinen jetzt an unsichtbaren letzten Fädchen zu hängen. Im Pavillon war Feuer ausgebrochen, und alles, was sich dort befand, verbrannte. Flammenzungen haben über dem Eingang und über den Einschusslöchern schwarze Spuren hinterlassen.
Aber der Pavillon steht natürlich genau dort, wo ihn die Bauherren - aus welchem Grund auch immer - von Anfang an errichtet hatten: wo er den Fußweg versperrt und einen Teil der Fahrbahn blockiert, was den Verkehr zweifellos behindert haben muss.
Alles, was hier geschah, liegt viele Jahre zurück; längst sind die Gerüche von Brand und Schüssen verschwunden. Geblieben jedoch - und noch immer bedrückend - ist die Atmosphäre des Hasses, der Wut und der Raserei, die den Artilleristen damals die Hand führten.
Ich mache mich ans Diktieren der nächsten Meldung. Wepl sitzt ein wenig entfernt von mir, schielt zu mir herüber, verzieht verächtlich seine Mundwinkel und knurrt demonstrativ laut: »Menschen - wie sollte es da einen Zweifel geben. Natürlich waren es Menschen. Eisen und Feuer, Trümmer und Ruinen, es ist immer dasselbe.« Anscheinend spürt auch er die bedrückende Atmosphäre, und sicher noch viel intensiver als ich. Gewiss wird er sich an seine Heimat erinnern: Wälder voll mit tödlichem Kriegsgerät, zu Asche verbrannte Flächen, in denen nur noch verkohlte radioaktive Baumstämme stehen, wo sogar die Erde von Hass, Angst und Tod getränkt ist.
Hier auf diesem Platz gibt es für uns nichts mehr zu tun. Wir würden nur immer neue Hypothesen entwickeln oder in unserer Phantasie Bilder zeichnen - eines schrecklicher als das andere. Wir gehen weiter, und mir kommt ein Gedanke: Gerät eine Zivilisation in die globale Katastrophe, werden alle Scheußlichkeiten an die Oberfläche gespült - all der Bodensatz, der sich über Jahrhunderte in den Genen des Soziums
angesammelt hat. Die Gräuel und Abscheulichkeiten können unterschiedlichste Formen annehmen, anhand derer man beurteilen kann, wie unglücklich die gegebene Zivilisation vor dem Kataklysmus war. Aber man wird kaum etwas über den Kataklysmus selbst sagen können; denn ganz gleich, ob es sich um eine globale Seuche, einen Weltkrieg oder eine geologische Katastrophe handelt - alle Kataklysmen fördern das Böse zutage: Hass, animalischen Egoismus und Grausamkeit, die gerechtfertigt scheinen, aber nicht im Geringsten gerechtfertigt sind …
Eine Mitteilung von Espada: Er hat Kontakt aufgenommen. Befehl von Komow: Alle Gruppen sollen ihre Translatoren zur Aufnahme linguistischer Informationen bereithalten. Ich taste hinter meinem Rücken nach dem tragbaren Übersetzungsgerät und schalte es ein.
2. JUNI’78
Maja Glumowa, die Freundin Lew Abalkins
Ich meldete Maja Toivowna meinen Besuch nicht an, sondern ging um neun Uhr morgens direkt zum Platz der Sterne.
Es hatte ein wenig geregnet, und der große Museumswürfel aus unpoliertem Marmor glänzte feucht in der Sonne. Schon von weitem sah ich vor dem Haupteingang eine kleine, buntgemischte Menschenmenge, und als ich näher kam, hörte ich unzufriedene und enttäuschte Ausrufe. Das Museum war seit gestern für die Besucher geschlossen, weil eine neue Ausstellung vorbereitet wurde. Die Menschenmenge bestand hauptsächlich aus Touristen; besonders verärgert aber waren ein paar Wissenschaftler, die gerade an diesem Morgen mit den Exponaten hatten arbeiten wollen. Die neue Ausstellung
war ihnen gleichgültig; sie waren der Meinung, man hätte sie rechtzeitig über die Änderung informieren müssen. Jetzt würde der Tag unnütz verstreichen … Verschlimmert wurde das Durcheinander durch die Reinigungskyber, die man anscheinend noch nicht umprogrammiert hatte: Nun irrten sie ziellos durch die Menge, gerieten den Leuten zwischen die Beine, wichen hektisch wütenden Fußtritten aus und gaben jede Minute Anlass zu schadenfrohem Gelächter, wenn sie wieder unsinnigerweise versuchten, durch die geschlossenen Türen zu gehen.
Jetzt wusste ich,
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